Die 16. ISIRC (International Social Innovation Research Conference) fand dieses Jahr im schweizerischen Bern statt. Die Business School der Berner Fachhochschule hatte die internationale Forschungscommunity im Feld Soziale Innovation eingeladen, die vom 2.–4. September stattfindende Konferenz mit Beiträgen zu einer Vielzahl von Themenschwerpunkten zu gestalten. Viele Forschende sind dieser Einladung gefolgt, haben eigene Streams organisiert, Beiträge eingereicht und durften ein abwechslungsreiches Programm aus Keynotes, Vorträgen und Networking erleben. Für das Spotlight Oktober hat das Team Wissenschaft der Plattform für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen (SIGU) mit Konferenzteilnehmenden aus dem Netzwerk Wissenschaft der SIGU-Plattform gesprochen und gefragt, welche Bedeutung die ISIRC für sie hat.
Das Netzwerk Wissenschaft antwortet:
Was macht die ISIRC für Dich besonders?
Die ISIRC ist für mich wie ein Klassentreffen, ein Realitycheck. Man trifft die Kolleg:innen, die man sonst nur auf dem Papier „trifft“, tauscht sich aus und wird erinnert, dass die eigene Forschung nur ein kleiner Teil davon ist, was die SI-Community auf der Welt macht.
Maria Rabadjieva, Researcher | Institut Arbeit und Technik, WH Gelsenkirchen | Bild: ©Rabadjieva
Das Besondere an der ISIRC ist das Zusammentreffen von Forschenden in einem interdisziplinären und interkulturellen Umfeld, es ist ein wenig wie das jährliche Zusammentreffen einer Großfamilie, bei dem man gespannt auf die Entwicklungen und Geschichten jeder einzelnen Person ist.
Michael Kriegel, Researcher | Technische Hochschule Rosenheim | Bild: ©Kriegel
Ich habe 2014 an einer meiner ersten ISIRC-Konferenzen an der Universität Northampton in Großbritannien teilgenommen. Im Laufe der Jahre habe ich festgestellt, dass auf der ISIRC eine offene und herzliche Community zusammenkommt. Die Leute, die dorthin gehen, beschäftigen sich schon seit vielen Jahren mit sozialer Innovation (ich auch, seit über zehn Jahren), haben die Entwicklung des Themas und die verschiedenen Diskussionen miterlebt. Aber es kommen auch neue Leute, die frische Akzente und kritische Perspektiven aus der ganzen Welt mitbringen.
Dr. Karina Maldonado-Mariscal, Senior Researcher I SFS, TU Dortmund I Bild: ©Dan Safier
Die ISIRC gehört zu den renommiertesten internationalen Konferenzen für Wissenschaftler:innen im Forschungsfeld Soziale Innovation. Auch auf der 16. ISIRC fokussierten 18 Forschungssteams dieses Feld aus unterschiedlichen Perspektiven und mit vielfältigen Themen- und Theorieschwerpunkten. Damit hat die ISIRC eine große Bedeutung auch für die deutsche SI-Forschungscommunity und für die Arbeit des Netzwerks Wissenschaft der SIGU-Plattform. Zahlreiche Mitglieder des weiter wachsenden Netzwerks waren in diesem Jahr vor Ort und haben vielfältige Beiträge und Forschungsergebnisse vorgestellt.
Die ISIRC bietet einen idealen Rahmen, um das Thema SIGU mit seinen nationalen Besonderheiten und Policies in einem internationalen Netzwerk zu diskutieren und zu reflektieren.
Michael Kriegel, Researcher | Technische Hochschule Rosenheim
Im traditionsreichen Hotel National eröffneten Sophie Bacq (IMD, Lausanne) und Johanna Mair (Hertie School, Berlin) mit ihren Keynotes die Konferenz. Sophie Bacq thematisierte Sozialunternehmen als Motoren für kollektives Handeln, während Johanna Mair die gesellschaftlichen und politischen Rollen solcher Unternehmen beleuchtete.
Auf dem Campus der Berner Fachhochschule fand im Anschluss über drei Tage die Konferenz mit ihren insgesamt 18 Streams statt. Besonders stark frequentiert waren sowohl der von Simon Teasdale (Queen‘s University Belfast) und Pascal Dey (Berner Fachhochschule) organisierte Stream rund um die theoretische und methodologische Weiterentwicklung von Forschung zu Sozialen Innovationen und Sozialunternehmen als auch der von Christoph Kaletka und Marthe Zirngiebl (beide TU Dortmund) geleitete Stream rund um das Ökosystem Sozialer Innovationen. Aber auch Streams, die das Thema Soziale Innovationen im Hochschulumfeld und in der Bildung fokussierten, brachten spannende Forschungen zusammen und boten zahlreiche Anregungen und Anknüpfungspunkte für die laufende Arbeit und Veranstaltungen des Netzwerks Wissenschaft.
Im Stream zum Ökosystem –“Social Innovation Ecosystem“- stellten die Forschenden in insgesamt 19 Präsentationen eine Vielfalt an Ideen und Konzepten vor. Diese reichten von der Betrachtung spezieller Ökosysteme rund um Bibliotheken, Repaircafés, fertigender Industrien oder Ernährungssicherheit über methodische Überlegungen zu digitalen Ökosystemen sozialer Innovation und Prozessmodellen bis hin zu der Beleuchtung spezieller regionaler und lokaler Ökosysteme. So konnte in insgesamt sechs Sessions ein diverses Bild des Konzepts und seiner vielfachen Anwendung als Analyserahmen geschaffen werden.
Der Stream „Social innovation and circular economy“ von Karina Maldonado-Mariscal (TU Dortmund), Rafael Ziegler (HEC Montreal, Canada) und Michael Roy (University of Stirling, UK), der auch aus einem großen internationalen Projekt hervorgeht, eröffnete mit einer Kritik an den Mainstream-Ansätzen der Kreislaufwirtschaft. Diese konzentrieren sich häufig auf Effizienz und Technologie und vernachlässigen dabei die Notwendigkeit eines tiefgreifenden systemischen Wandels in Produktion, Konsum und gesellschaftlichen Werten. Die Podiumsdiskussion umfasste Beiträge zu Themen wie genossenschaftliche Geschäftsmodelle, Governance, Technologieeinführung, politische Rahmenbedingungen, Kompetenzen in der Kreislaufwirtschaft und die Rolle von Werten bei der Unterstützung von Kreislaufwirtschaft und Sozialwirtschaft.
Als wegweisend für die SI-Forschung ausgezeichnet wurden auf der 16. ISIRC auch drei Paper in den Kategorien Best PhD Paper, Best Impact Paper und Best Scholarly Paper. Katrin Bauer von der Technischen Universität Dortmund untersucht in ihrem Paper, wie Akteur:innen des öffentlichen Sektors Soziale Innovationen ermöglichen. Sie entwickelt dazu ein Framework für Public Sector Social Innovation Orientation, also die Orientierung des öffentlichen Sektors in Richtung Sozialer Innovationen. Alina Kadyrova (Open University, UK & University of Manchester, UK), Francesca Calo, Ali Ataullah, Edoardo Ongaro (alle Open University, UK), Alessandro Sancino (Open University, UK & University of Milan Bicocca, Italien) und Aqueel Wahga (Open University, UK) bewerten die Annahme, dass Soziale Innovationen stets transformativen sozialen Wandel hervorbringen. Die Autor:innen leiten eine Beweisgrundlage für die Wirksamkeit Sozialer Innovationen her. Christina Hertel (Universität Genf) und Rossella Rocchino (TUM School of Management) erhielten zudem den Best Scholarly Award.
Die ISIRC hat sich über die Jahre fortentwickelt, neue inhaltliche Impulse aus den geehrten Beiträgen werden durch neue Möglichkeiten für Lernen und Diskussion flankiert. Mit der Erweiterung um ein Doktorandenkolloqium wird das Themenfeld Soziale Innovationen bereits in die frühe Phase der wissenschaftlichen Tätigkeit transportiert und kommt über kurz oder lang auch dem Netzwerk Wissenschaft zugute.
Trotz der Kontinuität der Forschungsthemen gibt es auch Raum für neue Ideen und neue Dinge. Im Rahmen dieser Konferenz fand eines der ersten Doktorandenkolloquien statt. Für mich bedeutet das, dass die ISIRC jetzt reif ist und neue Früchte und neue Räume für Lernen und Diskussion hervorbringt.
Dr. Karina Maldonado-Mariscal, Senior Researcher I SFS, TU Dortmund
Neben den inhaltlichen Beiträgen aus dem Konferenzprogramm ist die ISIRC stets auch als Raum für Networking, Gespräche über neue Kooperationen in Forschung und Projekten, aber nicht minder auch die Rückschau auf gemeinsame Leistungen von großer Bedeutung für das Netzwerk Wissenschaft.
Ich habe von der diesjährigen ISIRC neue Ansätze für Kooperationsprojekte mitgenommen und viele wertvolle Anregungen für mein Forschungsprojekt.
Michael Kriegel, Researcher | Technische Hochschule Rosenheim
Das inhaltliche Programm der Konferenz wurde durch Keynotes von Flor Avelino (Universität Utrecht, Niederlande) und Gorgi Krlev (ESCP, Paris, Frankreich) geschlossen. Flor Avelino betonte die Notwendigkeit, verschiedene Konzeptualisierungen von Macht in der Forschung mitzudenken, um somit insbesondere soziale Gerechtigkeit besser in Nachhaltigkeitsinitiativen einbetten zu können. Gorgi Krlev motivierte die Teilnehmenden, ihre Forschung auf Dauer interessant und gesellschaftlich relevant zu halten.
Die ISIRC ist für mich nicht nur eine Konferenz, sondern auch wie eine akademische Familie. Sie hat sehr gute Wissenschaftler:innen, Mentor:innen und Leute, die sich mit sozialer Innovation in Theorie und Praxis beschäftigen, aber sie bietet auch einen Raum für Akademiker als Aktionsforschende. Ich sehe hier die Möglichkeit, das deutsche Netzwerk mit dem internationalen Diskurs zu verbinden und von der guten Praxis mehrerer Universitäten zu lernen, die Pioniere in der Diskussion, Lehre, Forschung und Praxis sozialer Innovation sind.
Dr. Karina Maldonado-Mariscal, Senior Researcher I SFS, TU Dortmund
Die Internationalisierung der deutschen SI-Forschung ist auch in der Diskussion des Netzwerks Wissenschaft angekommen, war nicht zuletzt auch ein Thema auf der Konferenz zur Verankerung von Sozialen Innovationen in der Hochschullandschaft der SIGU-Plattform. Über Landesgrenzen hinweg voneinander zu lernen, kann ein mittelfristiges Ziel sein. Da passte es gut, dass Karen Marie Benzies zum Abschluss der diesjährigen Konferenz zur nächsten ISIRC vom 3.–5. September 2025 an die University of Calgary in Kanada einlud. Der Abschluss der Konferenz beim Dinner bildete damit zugleich den Auftakt in die Vorbereitungen für das nächste internationale Treffen der SI-Forschungscommunity, auf dem auch das Netzwerk Wissenschaft der SIGU-Plattform sicher wieder vertreten sein wird.