Festivals sind Ausdruck von Lebensfreude, Kreativität und des gemeinsamen Feierns – aber auch der Umweltbelastung. Auf einer Großveranstaltung wie beispielsweise einem 3-Tages-Festival mit 80.000 Besucher:innen, entstehen ca. 300 Tonnen Müll – häufig bestehend aus zurückgelassenen Zelten, Verpackungen, Einweggeschirr und Essensresten. Pro Besucher:in werden am Tag zwischen 1,5 bis 2,8 kg Müll verursacht. Eine eindeutige Zahl ist schwer auszumachen, da jedes Festival eine eigene Strategie zur Müllvermeidung anwendet, bei manchen spielt das Thema erst seit kurzem eine Rolle, bei anderen wiederum ist es Teil der DNA.
Der Ressourcenverbrauch geht aber weit über Müll hinaus: Laut dem Umweltbundesamt verursacht allein der Anreiseverkehr bis zu 80 % der CO₂-Emissionen eines Festivals. Gleichzeitig sind Festivals Orte für gesellschaftliches Experimentieren und Transformieren: Immer mehr Festivals in Europa begreifen sich als Reallabore für Soziale Innovationen. Sie zeigen, wie nachhaltiges Feiern funktioniert – mit ganzheitlichen Ansätzen, die von Cradle to Cradle über Kreislaufwirtschaft bis hin zu Zero Waste reichen.
Es geht auch anders: verantwortungsbewußt feiern
Es gibt viele Festivals, die sich ihrer gesellschaftlichen und ökologischen Verantwortung bewusst sind und in kollaborativen und co-kreativen Prozessen nach neuen Lösungen suchen. Exemplarisch stellen wir hier drei Festivals in Europa vor, die sich trauen, neue Wege zu gehen und dabei sehr erfolgreich sind. Zuallererst einmal noch eine kurze Definition, welche alternativen Wege und Lösungen angestrebt werden.
Ziel:
- Produkte so designen, dass sie nach Gebrauch entweder: biologisch abgebaut (kompostiert) werden können (biologischer Kreislauf) oder technisch vollständig wiederverwendet werden können (technischer Kreislauf) – ohne Qualitätsverlust.
- Sichtbarkeit durch internationale Zertifizierung: Produkte und Rohstoffe werden zertifiziert, die vollständig wiederverwertet werden können.
Prinzipien: Materialien sind von Anfang an als Rohstoffe für neue Produkte gedacht – kein „Downcycling“ wie im klassischen Recycling, sondern qualitatives Wiederverwerten.
Ziel: Ressourcen möglichst lange im Wirtschaftskreislauf halten und Abfall vermeiden.
Prinzipien:
- Produkte und Materialien werden so gestaltet, dass sie wiederverwendet, repariert, recycelt oder kompostiert werden können.
- „Abfall“ wird als Rohstoff verstanden.
- Wirtschaftlicher Fokus: Ressourcen sollen effizient und nachhaltig genutzt werden, auch in großem Maßstab.
Ziel: Die vollständige Vermeidung von Abfall.
Prinzipien:
- Produkte und Prozesse werden so gestaltet, dass kaum, bestenfalls kein Müll entsteht.
- Fokus liegt stark auf Vermeidung und Reduktion, erst danach kommt Wiederverwendung und Recycling.
- Oft stark vom persönlichen Verhalten geprägt – z. B. durch Konsumverzicht oder nachhaltige Lebensführung.
Roskilde Festival: nachhaltige Co-Kreation und Experimente
Das Roskilde Festival in Dänemark ist eines der größten und zugleich ungewöhnlichsten Musikfestivals Europas. Seit seiner Gründung 1971 wird es von einer gemeinnützigen Organisation veranstaltet und vollständig ohne kommerzielle Gewinnerzielung betrieben. Alle Überschüsse fließen in wohltätige, kulturelle und soziale Projekte weltweit. Was das Festival besonders macht, ist nicht nur die musikalische Vielfalt mit internationalen Top-Acts und experimentellen Newcomern, sondern vor allem der Geist der Gemeinschaft, der Innovation und des sozialen Engagements.
Ein zentrales Anliegen des Festivals ist Nachhaltigkeit. Roskilde gilt als eine Art Labor für zukunftsfähige Festivalformate: Es gibt strenge Maßnahmen zur Müllvermeidung, Recycling-Systeme, Initiativen zur Reduktion von CO₂-Emissionen, nachhaltige Essensangebote und sogar eigene Programme für klimafreundliches Camping. Das Festivalgelände wird Jahr für Jahr als Modellraum für neue, grüne Lösungen genutzt, bei dem beispielsweise auf Bio-Materialien, wiederverwendbare Bauten oder lokale Energiekonzepte gesetzt wird. Besucher:innen werden aktiv einbezogen, zum Beispiel durch Upcycling-Workshops, partizipative Kunstprojekte oder Diskussionen zu gesellschaftspolitischen Themen.

Roskilde ist aber auch ein soziales Experiment. Über 130.000 Menschen leben hier für eine Woche in einer Art temporärer Stadt und über 30.000 Freiwillige gestalten das Festival mit – von der Logistik bis zur Kunst – was eine enorme kollektive Co-Kreation bedeutet. Es geht nicht nur ums Feiern, sondern auch darum, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam neue Formen des Miteinanders auszuprobieren.
Boom Festival glänzt künstlerisch: Zero Waste & Circular Economy
Auch das Boom Festival in Portugal ist kein gewöhnliches Musikfestival, sondern ein bewusst gestalteter Raum für Nachhaltigkeit, Kreativität und gemeinschaftliches Leben. Bereits seit 1997, entsteht alle zwei Jahre am See von Idanha-a-Nova eine temporäre Kulturstadt, die sich vollständig ökologischen und sozialen Prinzipien verschreibt – mit dem Ziel, eine lebenswerte Zukunft erfahrbar zu machen.
Ihre Prämisse ist es der Natur und den Menschen der Region Ressourcen zurückzugeben und den sehr trockenen Ort wieder fruchtbar zu machen. Dies geschieht über mehrere Wege:
Kreislaufwirtschaft steht im Zentrum, Müll wird vermieden, Ressourcen zirkulieren. Es gibt keine Einwegprodukte, das Abwasser wird biologisch aufbereitet und wiederverwertet, Toiletten funktionieren trocken und kompostbasiert, organische Reste fließen in Permakultursysteme. Das Festival produziert seinen Strom zu großen Teilen aus Solarenergie und entwickelt laufend neue umweltfreundliche Infrastruktur – etwa für Wasseraufbereitung, Transport oder modulare, wiederverwendbare Bauten.

Auch architektonisch ist Boom ein Statement: Fast alles wird aus recycelten oder natürlichen Materialien gebaut – mit viel Liebe zum Detail und einer Ästhetik, die Natur, Technik und Kunst verbindet. Der Umgang mit Mobilität ist durchdacht: Sanfter Tourismus, Fahrgemeinschaften, CO₂-Kompensation gehören zum Konzept.



Ihre Prozesse und Fortschritte dokumentieren sie auf der Webseite und erheben Daten über ihre Wirkung und Nachhaltigkeit, beispielsweise Transport, Lebensmittel, Wasser und CO2-Ausstoß. In Vorträgen, Ritualen, Workshops und Kunstinstallationen werden Themen wie Ökologie, Bewusstsein, soziale Transformation oder indigene Weisheit behandelt. Jede:r Besucher:in wird zu einem bewussten Umgang mit den Ressourcen angehalten – das ist fester Bestandteil und Aushängeschild des Festivals.
Das Labor Tempelhof: Cradle to Cradle und deutscher Punkrock
Vier Jahre, sechs Konzerte, 330.000 Menschen: Das Projekt Labor Tempelhof zeigt, inwiefern sich klima- und ressourcenpositive Veranstaltungen heute schon umsetzen lassen und wo die Grenzen liegen. Von August 2022-2024 stellten die deutschen Punkrock-Bands „Die Ärzte” und „Die Toten Hosen” Konzerte für ein Labor zur Verfügung, in dem das Projektteam möglichst viele klima- und ressourcenpositive Produkte, Prozesse und Innovationen umgesetzt und getestet hat. Eingerahmt wurden die Konzerte von einem Informationskonzept über Cradle to Cradle (C2C), Kreislauffähigkeit und Nachhaltigkeit (Labor Tempelhof ist ein Projekt von Cradle to Cradle NGO, KKT GmbH – Kikis Kleiner Tourneeservice, Loft Concerts GmbH, Side by Side Eventsupport GmbH).
Das Ziel: ein experimentelles Festival, das gleichzeitig Showcase, Forschungsprojekt und Kollektivschule für nachhaltige Festivalgestaltung war. Daraus entwickelt wurde ein gehaltvoller, praxisorientierter Leitfaden, der sechs zentrale Handlungsfelder für nachhaltige Veranstaltungen definiert. Darin finden sich unter anderem Kontakte zu Dienstleistern und Inspirationen aus der Branche. Es werden Möglichkeiten und Grenzen aufgezeigt und dazu aufgerufen, selbst aktiv zu werden und die Ansätze zu erweitern. Der Guide wird kostenlos zur Verfügung gestellt.
Die Handlungsfelder des Guides im Überblick:
- Förderung klimafreundlicher Anreise: Bahn, ÖPNV, Fahrrad, Fahrgemeinschaften
- Einsatz von E-Fahrzeugen und Lastenrädern für Crew und Material
- Reduktion von Transportwegen durch lokale Lieferketten
- 100 % zertifizierter Ökostrom
- Ersatz von Dieselgeneratoren durch Batterien oder Wasserstoffsysteme
- Energieoptimiertes Bühnendesign und technische Planung
- Ausschließlich vegetarische und vegane Angebote
- Verwendung regionaler und saisonaler Zutaten
- Essensreste in Permakultur- und Kompostsysteme integriert
- Strikte Mülltrennung und Mehrwegsysteme
- Komposttoiletten mit getrennter Sammlung von Fäkalien und Urin
- Über 80 % der gesammelten Nährstoffe in landwirtschaftliche Kreisläufe zurückgeführt
- Chemiefreie, wasserlose Toilettensysteme
- Biologische Abwasseraufbereitung
- Wiederverwendung von aufbereitetem Wasser für Reinigung oder Bewässerung
- Cradle-to-Cradle-zertifizierte Materialien und Druckverfahren
- Langlebige, reparatur- und recyclingfähige Produkte
- Verzicht auf Überproduktion
- Modulbauweise für Bühne und Infrastruktur
- Einsatz wiederverwendbarer, reparaturfähiger Elemente
- Materialbeschaffung nach Kreislaufwirtschaftsprinzipien
- Schulung der Crew zu Cradle-to-Cradle-Prinzipien
- Transparente Darstellung von Erfolgen und Herausforderungen
- Besucher:innen-Interaktion durch Info-Stationen, Quiz, Workshops
- Starke Einbindung von Freiwilligen
- Kooperation mit lokalen Partner:innen und Initiativen
- Fokus auf Gemeinschaftsgefühl als Grundlage für nachhaltiges Handeln
Interview mit Tabea Kaplan von Loft Concerts
Erfahrt mehr über das Projekt Labor Tempelhof und über die Herausforderungen sowie Learnings, Großveranstaltungen nach den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft zu gestalten.
Sozial-innovative Lösungen auf Festivals
Immer mehr gemeinwohlorientierte Unternehmen sind auch auf den großen Festivals präsent – mit sozialinnovativen Angeboten, die das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden: Nachhaltigkeit, Bildung und Spass. Auf unserer Plattform stellen wir im Lösungsfinder inspirierende Soziale Innovationen und Sozialunternehmen vor: Komposttoiletten, Mehrweg-Geschirr und Wasser, was welches weltweit Wasserprojekte vorantreibt.
Beispiele aus der Praxis:
- Kompotoi ist ein kreislauffähiges und nachhaltiges Komposttoilettensystem aus Holz. Wie das in der Praxis funktioniert, beschreiben sie selbst in diesem Artikel.
- Viva con Agua ist ein gemeinnütziger Verein und internationales Netzwerk, das sich für den Zugang zu sauberem Trinkwasser einsetzt. Mehr über die Wasserprojekte, die Fördermitgliedschaft, das Mineralwasser und die Aktivitäten von Viva con Agua auf Festivals erfahrt ihr hier.
- Goldeimer ist ein Unternehmen in Verantwortungseigentum, das sich für eine nachhaltige Sanitärwende und den Zugang zu Klos für alle Menschen weltweit einsetzt. Mehr Infos zu Trockenklos von Goldeimer auf Festivals gibt es hier.
- Recup & Rebowl sind Pfandsysteme für Take-away und To-go, die Einwegmüll vermeiden und Spülgänge reduzieren.
- Trash Galore vermittelt übriggebliebene Materialien von Events an gemeinnützige soziale, ökologische und kreative Initiativen. Die Abholung des Materials erfolgt dabei direkt von der Veranstaltung.
- Material Mafia ist ein soziales Unternehmen, dass Reststoffe aus der Industrie, von Messen, Ausstellungen und der Kreativbranche als wertvolle Ressource ansieht und diese der Wiederverwendung zugänglich machen möchte.
Feiern mit Impact
Die vorgestellten Unternehmen und Festivals zeigen: Feiern kann bunt, kreativ und schön sein und gleichzeitig einen Beitrag für unsere Umwelt leisten. Dabei muss es nicht immer viel kosten, weder Ressourcen noch Geld. Die Möglichkeiten Festivals nachhaltig, sozial und dennoch für viele erlebbar zu gestalten, sind mindestens genauso vielfältig wie die Künstler:innen und das Publikum der Festivals selbst. So können sie auf kreative Weise Umweltschutz, Gemeinwohl und wirtschaftliche Tragfähigkeit miteinander verbinden – wenn der Fokus auf Wirkung statt nur auf Profit liegt.