FörderfinderSIGU-StrategieVeranstaltungen

GDI-Interviews: Krebsberatungs-App – Eine Gesellschaft, die alle Menschen im Blick hat

10. Juli 2025


Interview mit Prof. Dr. Alexander Wünsch, Mit-Initiator der Krebsberatungs-App durchgeführt von Katja Armbruckner (u-institut, Begleitung Gesellschaft der Ideen).

„Wir wollen uns für eine Gesellschaft einsetzen, die alle Menschen im Blick hat und die jeder Person Teilhabe und Zugang zu Unterstützung ermöglicht.“ Dieses Ziel steht an erster Stelle für das Team des Universitätsklinikums Freiburg, das in den letzten fünf Jahren aus der Idee einer Krebsberatungs-App eine digitale Lösung entwickelt hat, um Hindernisse der Kontaktaufnahme zu psychosozialen Hilfsangeboten zu überwinden. Rund 500.000 Menschen erhalten in Deutschland jährlich eine Krebsdiagnose. Die App möchte eine niederschwellige psychosoziale Versorgung garantieren – zunächst in Freiburg sowie ganz Südbaden und später idealerweise auch in ganz Deutschland. Im Interview erzählt uns Prof. Dr. Alexander Wünsch von dem Weg, den er gemeinsam mit der Ideengeberin Nathalie Röderer gegangen ist, und teilt seine Erkenntnisse und die Erfolge.

Katja: Alexander, ihr befindet euch am Ende der Praxisphase mit eurem Projekt im Rahmen des Ideenwettbewerbs „Gesellschaft der Ideen“. Wo steht ihr mit der Krebsberatungs-App derzeit und was sind die nächsten Meilensteine?

Alexander: Ja, wir sind tatsächlich schon am Ende der Praxisphase. Unsere Hauptperson und die Ideengeberin, Nathalie Röderer, ist bereits nicht mehr im Projekt aktiv tätig. Wir haben alle Ziele erreicht, die wir uns vor etwa anderthalb Jahren, zu Beginn der Praxisphase, gesteckt hatten. Wir wollten eine App entwickeln für Patient:innen und Angehörige, die drei zentrale Bausteine integriert: leichter Zugang, relevante Informationen und Interventionen. Daraus ist ein Mock-up und eine erste Prototyp-Version entstanden, die wir in einem Video aufbereitet und verschiedenen Zielgruppen gezeigt haben – Patientinnen, Angehörigen und Beratenden. Das Feedback ist für uns sehr wichtig, um die App zu entwickeln, und fiel überwiegend positiv aus.

Katja: Kannst du uns ein Beispiel geben: Welche konkreten Umsetzungsvorschläge haben sich aus dem Feedback ergeben?

Alexander: Ja, insbesondere Patient:innen und Angehörige wünschten sich eine möglichst einfache und intuitive Bedienung – das haben wir umgesetzt. Die Beratenden hingegen äußerten kritische Rückmeldungen hinsichtlich der Einbindung der App in ihre Arbeitsabläufe. Sie hatten Sorge, dass die App eine zusätzliche Belastung sein könnte, da sie bereits mit vielen anderen Systemen arbeiten müssen – z. B. Dokumentation, Outlook, Videotelefonie. Deshalb haben wir die Desktop-Version angepasst und Berater:innenfreundlich gestaltet.

Katja: Die App soll helfen, den hohen Beratungsbedarf zu bewältigen. Wie genau kann eine App die Arbeit der Fachleute unterstützen?

Alexander: Die Krebsberatungs-App hilft dabei, die Organisation der Beratungen zu erleichtern und den Zugang deutlich zu vereinfachen. Wir hoffen, dadurch Patient:innenströme besser kanalisieren zu können. Manche Patient:innen – etwa solche mit hoher Belastung oder aus ländlichen Regionen – finden aktuell kaum den Weg in die Beratungsstellen. Männer nehmen Beratungsangebote ebenfalls seltener in Anspruch und sind entsprechend unterrepräsentiert. Die App kann helfen, diesen Gruppen den Zugang zu erleichtern.

Katja: Ist die App auch medizinisch orientiert?

Alexander: Nein, sie konzentriert sich ausschließlich auf psychosoziale Unterstützung. In der Krebsberatung arbeiten Sozialarbeiter:innen, Psycholog:innen und Psychoonkolog:innen – keine Ärzt:innen oder Pflegekräfte.

Katja: Wie fing das vor knapp 5 Jahren an? Was war der konkrete Bedarf, aus dem die Idee zur Krebsberatungs-App entstand?

Alexander: Es gibt viele Menschen, die mit der Situation aus sehr unterschiedlichen Gründen überfordert sind – durch Sprachbarrieren, Stress oder fehlende Orientierung. Ich erinnere mich an eine Patientin mit einem Rezidiv und einem geschwächten Immunsystem. Sie konnte das Haus kaum verlassen und hatte zahlreiche psychosoziale Themen: Patient:innenverfügung, Versorgungsfragen, Angst vor dem Lebensende. Wir konnten ihr helfen – teils persönlich, teils online – aber vieles war umständlich verteilt: Informationen, Links, Videos. Mit der App könnten wir all das bündeln und einfach zugänglich machen. Auch für Betroffene wäre die kurze Kontaktaufnahme per App viel einfacher – etwa für einen spontanen 20-Minuten-Telefontermin. Bisher muss dazu noch das Sekretariat während der Sprechzeiten kontaktiert werden.

Katja: Wie hat euch „Gesellschaft der Ideen“ bei der Entwicklung eurer Idee unterstützt?

Alexander: Die Maßnahme war fantastisch. Wir konnten gleich zu Beginn mit dem Preisgeld viel bewegen: eine wissenschaftliche Hilfskraft einstellen, Recherchen und Interviews durchführen, Reviews anfertigen. Die erste Phase war inhaltlich und finanziell gut ausgestattet. In der Praxisphase gab es für uns allerdings einen Dämpfer – wir hatten auf mehr Fördervolumen gehofft und mussten mit weniger Ressourcen arbeiten. Das ursprüngliche Ziel, einen in der Praxis einsatzfähigen Prototypen zu entwickeln, konnten wir nicht ganz erreichen. Stattdessen haben wir eine Version, die wir in einem Video vorstellen und evaluieren lassen können.

Katja: Konkret, was hättest du dir noch gewünscht, um euer Ziel, eine Krebsberatungs-App zu entwickeln, besser umsetzen zu können?

Alexander: Mehr Zeit und mehr Budget wären natürlich hilfreich gewesen. Aber was ich besonders hervorheben möchte, sind die individuellen Coaching-Sessions. Die Coaches – Susan Barth und Christoph Brosius – waren mit ihrer inhaltlichen Perspektive Gold wert. Christoph hat aus eigener Erfahrung wichtige Entwicklungsschritte aufgezeigt. Susan hat uns sehr beim Pitch-Coaching geholfen. Ich komme aus der Forschung – da zählt vor allem die nüchterne Präsentation von Daten. Beim Pitch sind Vision und eine klare Message gefragt.

Katja: Was sind eure nächsten Schritte und wie geht es mit der Krebsberatungs-App jetzt weiter?

Alexander: Wir wollen das Projekt unbedingt fortsetzen. Es wurde ein neuer Förderantrag gestellt – beim VDI/VDE-IT für das Programm VIP+ – mit dem wir auf eine Weiterentwicklung setzen.

Katja: Möchtest du noch etwas ergänzen?

Alexander: Gesellschaft der Ideen ist ein großartiges Programm. Die Idee, dass Bürger:innen Ideen entwickeln und diese staatlich gefördert werden, ist toll. Der Weg dorthin ist allerdings steinig – es braucht Erfahrung im Umgang mit den vielen Formalitäten. Wenn es künftig ein ähnliches Programm gibt, wäre eine Vereinfachung wünschenswert.

Weitere Infos und Kontakt zum Team:

Feedback-Video des Entwicklungsteams, das die Krebsberatungs-App kurz vorgestellt: