Soziale Innovationen entstehen überall in der Gesellschaft. Auch Hochschulen nehmen hierbei wichtige und vielfältige Rollen ein. Die Frage, wie Hochschulen ihr Innovationskonzept neu ausrichten und das Thema SI strategisch und missionsübergreifend verankern können, gewinnt an Bedeutung. Das Spotlight August bietet Einblicke in einige zentrale Publikationen der letzten Jahre, die sich mit Ansatzpunkten einer strategischen Integration Sozialer Innovationen in Forschung, Lehre und Transfer befassen.
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- Benneworth, P. & Cunha, J. (2015). Universities’ contributions to social innovation: reflections in theory & practice. European Journal of Innovation Management, 18(4), S. 508-527. https://doi.org/10.1108/EJIM-10-2013-0099
- Menter, M. (2024). From technological to social innovation: toward a missionreorientation of entrepreneurial universities. The Journal of Technology Transfer, 49, S. 104–118. https://doi.org/10.1007/s10961-023-10002-4
- Brinkmann, B., Roessler, I. (2023). Soziale Innovationen als Zukunftsmotor – Hochschulen als Treiber und Gestalter. CHE Centrum für Hochschulentwicklung gGmbH, Gütersloh. https://www.che.de/download/si-zukunftsmotor/
- Baturina, D. (2022). Pathways towards Enhancing HEI’s Role in the Local Social İnnovation Ecosystem. In: Păunescu, C., Lepik, K.-L., Spencer, N. (eds) Social Innovation in Higher Education. Innovation, Technology, and Knowledge Management. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-030-84044-0_3
Benneworth, P. & Cunha, J. (2015). Universities’ contributions to social innovation: reflections in theory & practice
Mit ihrem Journalartikel aus dem Jahr 2015 nehmen Paul Benneworth und Jorge Cunha eingehend die Frage in den Blick, wie Universitäten in Zusammenhang mit Prozessen Sozialer Innovation zu wissensbasierter Stadtentwicklung („knowledge-based urban development“) beitragen können. Dabei präsentieren sie einen konzeptionellen Rahmen dafür, wie Hochschulen Prozesse Sozialer Innovation ermöglichen und sich daran kooperativ beteiligen können., Dieser Rahmen bietet auch über die Stadtentwicklung hinaus Implikationen für Hochschuleinrichtungen, die sich in unterschiedlichen Kontexten mit dem Thema befassen. Zudem diskutieren Benneworth und Cunha, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit sich Hochschulen an SI-Prozessen beteiligen und diese unterstützen können, und wägen mögliche Rollen ab.
Ausgehend von der Konzeption Sozialer Innovationen als sozialinnovative Praktiken mit gerechten Outcomes entwickeln Benneworth und Cunha ein Modell für Beiträge von Universitäten zu Sozialen Innovationen, das aus zwei jeweils dreiphasigen Schleifen besteht: die Erschaffung („creating loop“) und die Skalierung („upscaling loop“). Ausgangspunkt der ersten Schleife ist ein soziales Problem, Ergebnis der Skalierung ist schließlich die Soziale Innovation. Dabei betonen sie, dass Universitäten diesen Prozess nicht allein, sondern in Zusammenarbeit mit anderen Akteuren durchlaufen, wie sie beispielsweis im Modell der Quadruple Helix unterschieden werden. Das Engagement von Universitäten für Soziale Innovation werde jedoch durch verschiedene Faktoren erschwert. Zunächst weisen die Autoren auf die Schwierigkeit hin, Forschung und Lehre mit den Outcomes von Sozialen Innovationen in Form von sozialen Dienstleistungen zu vereinbaren – vor allem dann, wenn es keine direkten Verbindungen zwischen solchen Dienstleistungen und den Kernaufgaben von Hochschulen gäbe, wie im Falle von beispielsweise Universitätskliniken und Gesundheitsdienstleistungen. Darüber hinaus erwägen Benneworth und Cunha , dass Universitäten unter dem Druck stehen könnten, den individuellen Erfolg ihrer Einrichtung gegenüber der Orientierung am Gemeinwohl zu priorisieren.
Strategisch bringe die Beteiligung an Sozialen Innovationen einige Vorteile: Sie könne neues Wissen hervorbringen und auch die Legitimität von Universitäten steigern. Sie betonen in diesem Zusammenhang, dass Universitäten und andere Akteure sich vor allem dann in die Unterstützung von SI-Prozessen einbringen würden, wenn es für sie strategisch wichtig und vorteilhaft sei. Es sei daher notwendig, dass Universitäten Wege fänden, die Vorteile aus der Beteiligung an SI-Prozessen dafür zu nutzen, ihre eigene Organisation weiterzuentwickeln, und dabei Lehre und Forschung zu stärken. Dabei würden sich die Vorteile aus einer strategischen Zusammenarbeit für Soziale Innovationen nicht nur für die Universitäten selbst, sondern auch für andere Stakeholder ergeben – wie zum Beispiel für zivilgesellschaftliche Akteure. Benneworth und Cunha heben zudem hervor, dass zu berücksichtigen sei, wie unterschiedliche Gruppen innerhalb von Universitäten mit ihren unterschiedlichen sozialen Kontexten („interests, norms and routines“) die Möglichkeiten zum Wissensaustausch beeinflussen.
Menter, M. (2024). From technological to social innovation: toward a missionreorientation of entrepreneurial universities
Matthias Menter beleuchtet in seinem Journalartikel, inwiefern unternehmerisch geprägte Universitäten ihr unternehmerisches Profil erweitern können, indem sie Soziale Innovation in den Fokus rücken. Diese Universitäten begreifen im Sinne der Dritten Mission Wissens- und Technologietransfer bereits als Kernaufgabe. Bislang, so Menter, fördern unternehmerische Universitäten insbesondere den Transfer technologischer Innovationen durch beispielsweise die Entwicklung und Erprobung von Prototypen, die Gründung von Start-Ups sowie die Anmeldung von Patenten. Indem sie diese Aktivitäten öffnen und ihr Verständnis von Innovation und unternehmerischen Aktivitäten um Soziale Innovationen erweitern, argumentiert Menter, würde ihr Potenzial, einen Beitrag zur Lösung ökologischer und gesellschaftlicher Herausforderungen zu leisten, gefördert werden. Um dies zu erreichen, bedürfe es einer grundsätzlichen Neuausrichtung der Missionen von unternehmerisch geprägten Universitäten: Einerseits müssten sie Transfer unabhängig von dessen Kommerzialisierung denken und andererseits ihr Rollenverständnis erweitern. Dabei betont Menter, dass diese Neuausrichtung eine Reihe potentieller Konflikte beinhaltet, da Universitäten zum Teil widersprüchlichen Stakeholderansprüchen ausgesetzt sind. Außerdem müssten ihre knappen finanziellen Ressourcen neu aufgeteilt werden, um soziale und technologische Innovationen gleichberechtigt auf Augenhöhe zu adressieren. Das Fazits des Artikels skizziert schließlich mehrere Forschungsfragen, die etwa darauf abzielen, inwiefern Universitäten ihre Geschäftsmodelle, Netzwerke, Strukturen und gesellschaftliche Wirkung auf Soziale Innovation ausrichten können. Weitere Forschung an diesen Fragen kann mögliche Entwicklungspfade von Universitäten hin zu einer Neuausrichtung auf Soziale Innovationen erfassen.
Brinkmann, B., Roessler, I. (2023). Soziale Innovationen als Zukunftsmotor – Hochschulen als Treiber und Gestalter
Mit dem Projekt „Wege und Indikatoren Sozialer Innovationen aus Hochschulen im Bereich der Pflegewissenschaft und der Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie“ (WISIH) konnte das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) einige richtungsweisende Erkenntnisse zu Sozialen Innovationen an deutschen Hochschulen gewinnen, die auch über die Fachdisziplinen hinaus Relevanz haben. Das Projekt wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Im Januar 2023 veröffentlichten Bianca Brinkmann und Isabel Roessler den Abschlussbericht zu WISIH, der die wesentlichen Projektergebnisse zusammenfasst. Dabei wird im Bericht an jeweils geeigneter Stelle auf einzelne Projektberichte verwiesen, die hier zu finden sind:
Projektberichte WISIH – Soziale Innovationen aus Hochschulen
Der Bericht stellt zentrale Projektergebnisse dar und ordnet diese in Bezug auf einzelne Akteursgruppen ein, an die sich jeweils verschiedene Empfehlungen richten. So werden sowohl die Wissenschaft und die Hochschulen wie auch Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in den Blick genommen. Zunächst beschreiben die Autorinnen die „Aufgaben und Rollen“, die Hochschulen und Wissenschaftler:innen in Hinblick auf Soziale Innovation einnehmen können. Sie betonen dabei, dass Hochschulen einerseits in einem komplexen Kontext verortet seien, der durch zahlreiche Wechselwirkungen und Spannungsverhältnisse charakterisiert sei. Andererseits heben sie hervor, dass Wissenschaft sowohl durch Wissen als auch durch Beiträge zur Qualitätssicherung oder „als aktiver Gestalter und Initiator Sozialer Innovationen“ aktiv sein könne. An den kurzen Überblick schließen Empfehlungen an, die sich sowohl an Hochschulen wie auch an die Wissenschaft insgesamt richten und dabei sowohl alle drei Missionen von Hochschulen in den Blick nehmen, als auch die strategische Ebene berücksichtigen. Bezüglich der „Aufgaben und Rollen der Politik“ heben sie die Beobachtung hervor, dass Soziale Innovation zunehmend an Bedeutung in der Politikgestaltung gewinne. Es folgen Empfehlungen, die sich größtenteils auf die Gestaltung von Rahmenbedingungen beziehen, dabei aber auch Pfade für eine aktive Rolle von Kommunen aufzeigen. Zivilgesellschaft und Wirtschaft positionieren die Autorinnen als „Abnehmerseite wissenschaftlicher Erkenntnis“, die sie zugleich als diejenigen beschreiben, die um Bedarfe für Soziale Innovationen wüssten, die Aufgaben stellten und zugleich als Multiplikatoren aufträten. Die anschließenden Empfehlungen legen den Schwerpunkt auf die Gestaltung der (Mit-)Arbeit an Sozialen Innovationen.
In einem eigenen Kapitel wird ein Überblick über Indikatoren präsentiert, die im Rahmen von WISIH entstanden sind und „mit denen Soziale Innovationen beschrieben und gemessen werden können“. Die Autorinnen ergänzen beispielhaft zwei Szenarien zur möglichen Anwendung der Indikatoren: Einerseits können sie dabei helfen, Soziale Innovationen in Leitbildern zu verankern, da mit ihnen Ziele formuliert und der aktuelle Stand erfasst werden kann. Andererseits können sie genutzt werden, um ein konkretes, sozialinnovatives Vorhaben im Rahmen eines Abschlussbericht zu beschreiben.
Die Indikatorensammlung des CHE ist hier verfügbar, dort sind auch weitere Nutzungsszenarien zum Einstieg in die Sammlung aufgeführt: https://indikatorenportal.che.de/.
Wesentliche Ergebnisse aus dem Projekt, die im Bericht hervorgehoben werden, umfassen zum einen „Verbreitung, Hemmnisse“ und „Fördermöglichkeiten“, die in den Kontext der Forschungsergebnisse zu den Fachdisziplinen Pflegewissenschaften und Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie gesetzt werden. Unter den Schlagworten „Prozesse, Phasen, Wege Sozialer Innovationen“ präsentieren Brinkmann und Roessler zum anderen vier Typen von sozialinnovativen Vorhaben, die sich darin unterscheiden, dass sie einzelne Phasen durchlaufen oder überspringen. In ihrer Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse skizzieren die Autorinnen Rollen, die sowohl Hochschulinterne als auch Hochschulexterne im Verlauf eines sozialinnovativen Projektes einnehmen könnten.
Baturina, D. (2022). Pathways towards Enhancing HEI’s Role in the Local Social İnnovation Ecosystem
Mit seinem Kapitel als Beitrag zu einem Sammelband, der sich dem Zusammenhang zwischen Sozialen Innovationen und Hochschuleinrichtungen widmet, arbeitet Danijel Baturina anhand eines Fallbeispiels einige Hinweise zur Mitgestaltung von SI-Ökosystemen durch Hochschuleinrichtungen heraus. Als solche Ökosysteme versteht er dabei nicht nur Akteurskonstellationen, sondern bezieht auch institutionelle, kulturelle, politische und sozioökonomische Aspekte mit ein. Entsprechend umreißt er auch kurz das kroatische Ökosystem, in dem Soziale Innovation noch ein relativ selten genutztes Konzept und wenig Politikgestaltung verankert sei. Bislang seien dort insbesondere der dritte Sektor und die Zivilgesellschaft die Hauptquellen für Soziale Innovationen.
Baturina konzentriert sich bei seinen Hinweisen im Folgenden auf die Felder Forschung und Wissensproduktion für Soziale Innovationen, Politikgestaltung, Bildung, Netzwerkbildung und politische Fürsprache sowie Community Engagement. Das konkrete Fallbeispiel eines Studienzentrums der Universität Zagreb mit Schwerpunkten in Sozialpolitik und sozialer Arbeit umfasst ein Service Learning Projekt zur Aktivierung studentischen Engagements im Feld der Prävention von Obdachlosigkeit und Förderung von sozialer Teilhabe von Menschen, die Obdachlosigkeit erfahren. Ausgehend von diesem Beispiel arbeitet der Autor unterschiedliche Beobachtungen heraus. Diese hätten einerseits Relevanz für den spezifischen Kontext Kroatiens und das spezifische lokale Ökosystem von Zagreb als herausstechendes Beispiel mit weit entwickelter Sozialpolitik, in dem Soziale Innovationen mit Bezug zu den Zielen der Stadt Zagreb besonders erfolgreich sein könnten. Andererseits bietet der Autor auch Implikationen für die Rolle von Hochschulen allgemein. Bezüglich der Anreize oder Motivationen von Hochschuleinrichtungen, sich in die Entwicklung eines SI-Ökosystems einzubringen, hebt er so Gelegenheiten und Notwendigkeiten („opportunities“ und „necessities“) hervor, wobei er die Bedeutung von Gelegenheiten als Treiber im konkreten Fall und für post-sozialistische Länder im Allgemeineren hervorhebt. Dabei betont er die Bedeutung von persönlichem Enthusiasmus, von Wissen und Netzwerkkapazitäten sowie einer bestehenden Einbettung von Hochschuleinrichtungen in ihren lokalen Kontext.
Das Kapitel schließt Baturina mit weiterführenden Hinweisen dazu ab, wie sich Hochschuleinrichtungen in Hinblick auf Soziale Innovationen weiterentwickeln könnten. So betont er unter anderem den Ansatz der Verbindung von Lehr- und Forschungsmissionen mit Beiträgen zur Weiterentwicklung des Ökosystems. In diesem Zusammenhang verweist er darauf, wie bedeutsam es ist, Praktiker:innen und Empfänger:innen sozialer Dienstleistungen in Entscheidungsprozesse im Kontext des Service-Learnings einzubeziehen, und betont die Bedeutung von Partnerschaften mit diesen Akteuren in der Durchführung der Lehre und der Bewertung von studentischen Arbeiten. Er schließt damit, dass sich die Legitimation von Hochschuleinrichtungen zukünftig aus Beiträgen zu lokalen Communitys speisen könnte und schlägt eine Positionierung von Hochschuleinrichtungen als strategische SI-Institutionen vor. Dabei betont er die Verbindung mit dem Missionsansatz der Europäischen Innovationspolitik.
Hochschulkonferenz am 17.09.2024
Am 17. September widmet das Team Wissenschaft der Plattform für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen eine Konferenz dem Thema der Rolle von Hochschulen im Ökosystem Sozialer Innovation. Neben Keynotes internationaler Expert:innen und einer Podiumsdiskussion zur Etablierung Sozialer Innovation an Hochschulen wird es auch Gelegenheit zum intensiven Austausch in Dialogsessions geben.
Mehr Informationen gibt es hier.