Hochschulen nehmen eine wachsende Rolle für Soziale Innovationen in allen drei Missionen ein. Wie Soziale Innovationen und Social Entrepreneurship durch innovative Lehre gefördert und begleitet werden können, wurde in den unter der “Gesellschaft der Innovation – Impact Challenge an Hochschulen” vom BMBF geförderten 12 Pilotprojekten über mehrere Monate getestet. Die Projekte wurden von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE), der Universität Bayreuth und des Social Entrepreneurship Netzwerks Deutschland e. V. (SEND) im SISEE-Projekt begleitet und die Erfahrungen in der Lehre durch das Projektteam evaluiert und in einem Leitfaden für die Hochschulpraxis aufbereitet. In einem Gastbeitrag geben Daniel Kruse (HNEE), Britta Gossel (HNEE) und Arian Ajiri (SEND) für das Spotlight September Einblicke in die Potenziale und Herausforderungen guter Lehre für Soziale Innovationen und Social Entrepreneurship und leiten aus diesen Handlungsempfehlungen für Politik und Hochschulleitungen ab.
Ein inspirierendes Seminar, eine bestärkende Lehrperson, der neugierige Blick in bislang unbekannte Themen und ermutigende Unterstützung einer Transferstelle – das alles sind Bildungsmomente, die die nächste Soziale Innovation oder den/ die nächste Social Entrepreneur:in hervorbringen können. Hochschulen nehmen eine besondere Rolle dabei ein, Soziale Innovationen und Social Entrepreneurship zu fördern. Ihr regionales Ökosystem sowie ihre Möglichkeiten in Forschung, Lehre und Transfer sind dabei von großer Bedeutung. An den Hochschulen liegt riesiges Potenzial, den beruflichen Werdegang vieler junger Menschen sowie deren Wunsch, gesellschaftliche Herausforderungen anzugehen, zu prägen.
Doch die Möglichkeiten, sich an Hochschulen zu den Themen Social Entrepreneurship und Soziale Innovation fort- und weiterzubilden, sind bislang beschränkt. Nur wenige Standorte verfügen über die Expertise und Kapazität, die Themen systematisch und langfristig in Fort- und Weiterbildung anzubieten (von einem Beispiel berichtet das Spotlight April). Strukturelle und finanzielle Barrieren behindern die erfolgreiche Etablierung entsprechender Formate. Einzelne proaktive, engagierte Akteur:innen treiben das Thema lokal an Hochschulen voran, daher fordert die Entwicklung und Skalierung viele Ressourcen.
Mit „Gesellschaft der Innovationen – Impact Challenge an Hochschulen“ wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung 12 Hochschulen mit Projekten gefördert, die Fort- und Weiterbildungsinstrumente zu Social Innovation Education (SIE) und Social Entrepreneurship Education (SEE) erforschen und anwenden. Die Projekte umfassten bspw. die Entwicklung und Umsetzung von Educate-the-Educator-Formaten, Hackathons, Ideenwettbewerben, Projektwochen oder Gründungsberatungsangeboten. SIE und SEE sind zwei eng verwandte Ansätze, die in der Lehrpraxis oft synonym verwendet werden. Dennoch können die unterschiedlichen Begriffe dazu beitragen, verschiedene Schwerpunkte zu setzen: SEE geht häufig mit Unternehmer:innentum einher, während SIE eine systemische Wirksamkeit fokussiert, bei der die Organisationsform offengelassen wird. Welche Aspekte im Vordergrund stehen, hängt von den individuellen Lehr- und Lernzielen der Lehrenden ab und ist auf die unterschiedlichen Disziplinen und Sektoren zurückzuführen, aus denen man sich dem noch jungen Phänomen nähern kann. Fort- und Weiterbildungsangebote umfassen curriculare und außercurriculare an Hochschulen oder getragen von hochschulischen Kooperationen angebotene Weiterbildungsformate auf akademischem Niveau sowie interne Fortbildungsangebote für Hochschulangehörige.
Die 12 BMBF-geförderten Projekte wurden von einem Querschnittsvorhaben der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE), der Universität Bayreuth und des Social Entrepreneurship Netzwerks Deutschland e. V. (SEND) vernetzt und begleitet (siehe Abb. 1). Das Projekt bestand aus drei Phasen: In Phase 1 wurden durch eine Literatur- und Interviewstudie mit 35 Dozierenden die Herausforderungen und Expertisen identifiziert, um SIE/SEE-Formate zu verbessern. Phase 2 zielte darauf ab, das Netzwerk zu aktivieren und Synergien zu schaffen, um die interdisziplinäre Verankerung in Hochschulen zu stärken. Dafür wurden acht interaktive Fortbildungsformate angeboten. In Phase 3 lag der Fokus auf der Generierung von Output und der Verstetigung, indem sechs Lerntandems praxisbegleitend unterstützt wurden und darüber hinaus ein Praxisleitfaden ausgearbeitet wurde, der die Erkenntnisse aus dem Projekt zusammenfasst.
Der Praxisleitfaden gibt Lehrpraktiker:innen auf Basis der Interviews und Praxisbegleitungen anwendungsorientierte Tipps darüber, wie sie Herausforderungen in der Aus- und Weiterbildung begegnen können, welche Erfolgsfaktoren eine Rolle spielen und welche Good Practices sich bewährt haben. Die im Projekt gewonnenen Erkenntnisse sollen Lehrenden zur Verfügung gestellt werden, die sich dafür engagieren, Soziale Innovationen und Social Entrepreneurship in die Hochschulen zu bringen. Der Praxisleitfaden fokussiert drei Oberthemen, die gleichzeitig seine Struktur abbilden: Lehr- und Lernsituationen, Implementierung und Transfer. Dieser Beitrag fokussiert die beiden Oberthemen Implementierung und Transfer; eine vollständige Übersicht ist hier zu finden.
Transfer aus Formaten der Social Innovation Education & Social Entrepreneurship Education
Der Transfer von SIE/SEE-Formaten leistet einen wichtigen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen und unterstützt die Third Mission der Hochschulen, indem er soziales Engagement und Innovation in die Praxis überführt und dadurch positiven gesellschaftlichen Wandel fördert.
In der Forschungsförderung werden Soziale Innovationen zunehmend mitgedacht. Dies markiert einen positiven Wandel im Innovations- und Transferverständnis in Deutschland, das bisher vorwiegend auf technologische und wirtschaftliche Fortschritte ausgerichtet war. Trotzdem wird das Innovations- und Transferverständnis oft noch von ökonomischen Denkmustern aus dem wirtschaftlich und technologiebasierten Innovationsdiskurs geprägt.
Soziale Innovationen werden oft aus der Perspektive dieses technologisch geprägten Innovations- und Transferbegriffs als Zusatz oder Ergänzung zur „klassischen” Innovation gedacht. In diesem Verständnis sollen sie negative Auswirkungen abmildern oder positive Effekte verstärken – gerade auch mit Blick auf die digitale Transformation. Innovationsprozesse werden daher im konventionellen eher in linearen Prozessen (z. B. vom Forschungsergebnis über Prototyp und Test zur Implementierung) und Stufen (z. B. Technology Readiness Level) gedacht. In diesem Verständnis wird vernachlässigt, dass sich Soziale Innovationen grundlegend von der Produktlogik technischer Innovationen unterscheiden.
Die Entwicklung Sozialer Innovationen folgt eher einer zirkulären Logik, wodurch ihre Entwicklungsverläufe vielmehr als offene, dynamische und kontextspezifische Prozesse betrachtet werden müssen, in denen konzeptionelle Neuerungen und deren praktische Umsetzung ständig neu ausgehandelt und angepasst werden – ein Vorgang, bei dem beide Seiten transformiert werden. Dieses Vorgehen erfordert ein anderes Bewusstsein und spezielle Kompetenzen, die über traditionelle wirtschaftliche und technische Fähigkeiten hinausgehen und ein tiefes Verständnis für soziale Dynamiken, partizipative Prozesse und interdisziplinäre Zusammenarbeit mit sich bringen.
Dies ist anspruchsvoll und bedarf ebenso der Kompetenzen spezieller Fachkräfte. Durch ein Umdenken und die Fokussierung auf diese spezifischen Kompetenzen können Hochschulen und die Politik dazu beitragen, die Qualität und Nachhaltigkeit Sozialer Innovationen zu verbessern. Dies kann bereits mit der Verankerung eines veränderten Transferbegriffs beginnen, der innovative Prozesse egal welchen Charakters nicht von der Hochschule in die Gesellschaft, sondern gemeinsam mit Gesellschaft und Hochschule denkt. Vor diesem Hintergrund erscheint dann auch das bloße Zählen von Gründungen obsolet und andere Messindikatoren müssen integriert werden. Um das Innovationsverständnis in Deutschland zu erweitern und zu präzisieren, bedarf es einer stärkeren Anerkennung dieser Unterschiede und einer Anpassung der wissenschaftspolitischen Rahmenbedingungen an die spezifischen Anforderungen Sozialer Innovationsprozesse.
Hieraus können Handlungsempfehlungen sowohl an Hochschulleitungen als auch Lehrende zur Stärkung des Transfers abgeleitet werden:
- Neue Indikatorik: Entwicklung von Indikatoren zur Bewertung der Wirkung Sozialer Innovationen.
- Integration in den Lehrbetrieb: Bessere Verankerung von SIE/SEE in Lehrveranstaltungen und Abschlussarbeiten.
- Netzwerke und Kooperationen: Aktiver Aufbau von Netzwerken zwischen Hochschulen und externen Partnern.
- Langfristige Partnerschaften: Kooperationen mit regionalen Akteuren zur Entwicklung nachhaltiger Lösungen.
- Praxisorientierte Projekte: Studierende sollten frühzeitig in praxisnahe Projekte eingebunden werden.
- Interdisziplinäre Ansätze: Förderung der Zusammenarbeit zwischen Disziplinen und Sektoren zur Lösung sozialer Probleme.
Empfehlungen an die Politik zur Stärkung der Social Innovation Education & Social Entrepreneurship Education
Die folgenden Handlungsempfehlungen an die Politik sind notwendig, um SIE/SEE in Deutschland gezielt zu stärken und deren gesellschaftlichen Mehrwert voll auszuschöpfen. Durch die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen können Hochschulen besser dazu befähigt werden, ihre Third Mission zu erfüllen und innovative Lösungen für drängende soziale Herausforderungen zu entwickeln und umzusetzen.
- Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit für SIE/SEE erhöhen: Trotz wachsender Verankerung von SIE/SEE in Hochschulen fehlt es noch an breiter Wahrnehmung. Daher wird empfohlen, das Thema verstärkt auf der politischen und medialen Agenda zu platzieren, etwa durch die Integration in Bildungsausschüsse und Kommunikationskampagnen der Bundesregierung. Auch sollten SIE/SEE in regionalen Veranstaltungen sowie dem Gipfel für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften eingebunden und Studierendenteams für ihr Engagement gewürdigt werden.
- Förderinstrumente weiterentwickeln: Bestehende Förderprogramme sollten themen- und technologieoffen gestaltet werden, um soziale Innovationen stärker zu berücksichtigen. Die gesellschaftliche Relevanz eines Projekts sollte ein zentrales Kriterium in der Förderung sein. Zusätzlich wird empfohlen, Förderinstrumente insbesondere in den späteren Phasen des Projektverlaufs zu stärken, um das „Valley of Death“ für Social Startups zu überwinden.
- Neue Förderinstrumente schaffen: Neben der Öffnung bestehender Programme sind spezifische Förderinstrumente für Soziale Innovationen erforderlich. Dies umfasst gezielte Förderungen für Forschung zu Education und Wirkungsmanagement, den Aufbau von Kompetenzprofilen sowie überregionale Hochschulnetzwerke. Zudem sollten kommunale Förderinstrumente entwickelt werden, um regionale Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen zu unterstützen, etwa durch Hackathons und Challenges, die in Zusammenarbeit mit der Politik durchgeführt werden können.
Die ausführliche Version der Empfehlungen findet sich in Kürze im Praxisleitfaden zum Nachlesen.
Implementierung der Social Innovation Education & Social Entrepreneurship Education
SIE/SEE ganzheitlich zu integrieren, erfordert neben den bereits beschriebenen Transferaktivitäten auch eine grundlegende Implementierung in bestehende Hochschulstrukturen. Diese ist allerdings mit einer Reihe von internen Herausforderungen verbunden.
- Fehlende Sichtbarkeit, Akzeptanz und Kenntnis: Mangelnde Bekanntheit und Akzeptanz von SIE/SEE an Hochschulen erschweren die Einführung neuer Module.
- Fakultätsübergreifende Anrechnung: Die Anrechnung von ECTS-Punkten ist administrativ schwierig, besonders bei unterschiedlichen Semesterplänen und Studienordnungen.
- Monodisziplinäre Ausrichtung: SIE/SEE bleibt häufig auf Wirtschaftswissenschaften beschränkt, was die Interdisziplinarität hemmt und einen Konflikt mit traditionellen betriebswirtschaftlichen Lehransätzen verursacht.
- Fehlende Ressourcen: Es mangelt an langfristigen Finanzierungsinstrumenten und geeigneten Räumlichkeiten für interaktive Lernformate.
- Veränderungsresistente Strukturen: Konservative Hochschulstrukturen hemmen neue Lehransätze, und der Wandel hängt oft von engagierten Einzelpersonen ab.
Diese Herausforderungen lassen sich mit folgenden Good Practices begegnen:
- Lehrende als Koalition aus der Mitte: Lehrende haben als Changemaker eine Schlüsselrolle bei der Implementierung von SIE/SEE. Durch strategische Vernetzung, Bildung einer Koalition, engagiertes Auftreten und stete Kommunikation können sie maßgeblich dazu beitragen, diese neuen Bildungsansätze institutionell zu verankern und nachhaltigen Wandel in der Hochschulbildung voranzutreiben.
- Zusammenarbeit mit Transferstellen: Insbesondere Transferstellen beschäftigen sich an vielen Hochschulen schon seit längerem mit Social Entrepreneurship und Sozialen Innovationen. Sie sind häufig die erste Anlaufstelle von Gründer:innen aus diesen Feldern. Laut Deutschem Startup Monitor 2023 streben 44,9 % aller Startups an, gesellschaftliche Problemstellungen zu lösen.
Empfehlungen an die Hochschulleitung zur Implementierung der Social Innovation Education & Social Entrepreneurship Education
Innovationsfonds ermöglichen Lehrenden, Projekte im Bereich SIE/SEE zu starten und innovative Lehrformate zu entwickeln. Diese Fonds dienen als Anschubfinanzierung und fördern die Integration von Praxispartnern.
Das Lehrdeputat temporär zu reduzieren gibt Lehrenden den Freiraum, neue Formate intensiv zu entwickeln. Dies wird insbesondere an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften positiv bewertet.
Wenn Hochschulleitungen interdisziplinäre Projekte durch finanzielle und politische Unterstützung fördern, schafft dies Chancen. Anpassungen in Prozessen und Belohnungssystemen sind notwendig, um diese Innovationen zu legitimieren.
Wenn Hochschulen Programme und Mittel bereitstellen, haben Sie die Möglichkeit, das Bewusstsein und das Interesse an SIE/SEE bei Lehrenden und Studierenden zu stärken. Sensibilisierung und Beteiligung sind dabei entscheidend.
Es ist wichtig, Soziale Innovationen in die Hochschulstrategie zu integrieren um langfristige Nachhaltigkeitsziele zu verfolgen. Die Einbindung der Gründungszentren ist dabei wesentlich.
Hochschulleitungen haben Mittel und Möglichkeiten, Führung zeitgemäß zu gestalten, um Veränderungsprozesse aktiv und partizipativ zu steuern. Dies ist entscheidend für die erfolgreiche Implementierung von SIE/SEE.
Interdisziplinäre und sektorenübergreifende Fortbildungsangebote sind als integraler Bestandteil des Studiums notwendig. Hochschulen haben die Chance hier bürokratische Hürden zu minimieren, um die Umsetzung zu erleichtern.
Wenn Hochschulen aktiv nach politischen und finanziellen Unterstützungen suchen, schaffen Sie gute Bedingungen, um SIE/SEE-Programme nachhaltig zu implementieren. Dies umfasst die Zusammenarbeit mit regionalen und staatlichen Akteuren sowie gemeinnützigen Organisationen.
Die regelmäßige Weiterbildung von Lehrende ist essentiell, um neue Methoden und Ansätze in SIE/SEE zu integrieren. Fortbildungen und Workshops können den Wissensstand der Dozierenden erweitern.
Die Möglichkeiten digitaler Tools können die Reichweite und Effektivität von SIE/SEE-Programmen erheblich erhöhen. Die Implementierung digitaler Innovationen in der Lehre sollte gezielt gefördert werden.
Wenn Hochschulen auch den Nutzen von Low-Tech-Lösungen diskutieren und deren Vorteile für Soziale Innovationen betonen, können neue Chancen entstehen. Diese Ansätze sind oft ressourcenschonender und besser an den Lebenskontext der Zielgruppen angepasst.
Regelmäßige Evaluierungen und Feedback von Studierenden und externen Partnern sind notwendig, um die Wirksamkeit von SIE/SEE zu messen. Diese Informationen sollten zur kontinuierlichen Verbesserung der Programme genutzt werden.
Im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundprojekt “Hochschulnetzwerk für Social Innovation und Social Entrepreneurship Education” (SiSeE) haben die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE), die Universität Bayreuth (UBT) und der Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland e.V. (SEND) gemeinsam Hochschullehrer:innen in dem Themenfeld vernetzt und einen Praxisleitfaden entwickelt.
Das Projektteam SiSeE (vlnr: Dr. Daniel J. Kruse, Prof. Dr. Eva Jakob, Leonard Witte, Prof. Dr. Britta M. Gossel, Chiara Hedemann, Felix Kroiß, Arian Ajiri, Sarah Jasiok – nicht abgebildet: David Schroff-Spiering)(©simonveith)