Im September 2023 verabschiedete die Bundesregierung die Nationale Strategie für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen (SIGU-Strategie). Die SIGU-Strategie definierte in sieben Leitlinien und elf Handlungsfeldern die wesentlichsten Ziele und Maßnahmen, die zu einer Stärkung des Ökosystems zur Entwicklung von Sozialen Innovationen beitragen und einen verbesserten Zugang zur finanziellen Unterstützung für Gemeinwohlorientierte Unternehmen gewährleisten sollen. Unsere Plattform für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen (SIGU-Plattform) ist eine zentrale Maßnahme, die der Umsetzung der Strategie dient.
Gut neun Monate später legt der Beirat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) für Soziale Innovation nun mit seinem Vision Paper 30 Milliarden bis 2030. Sieben Hebel für eine innovative Wirtschaft und Gesellschaft nach.
Der Weg zur Impact Republik
Der Beirat nimmt dabei mögliche nächste und übernächste Schritte auf dem Weg zu einer echten Impact Republik in den Blick und entwirft eine mutige, selbstbewusste und konsequent vorwärtsgewandte Vision für Soziale Innovationen in Deutschland. Die SIGU-Strategie stellt demnach nur den Startschuss für die nächste Generation von Sozialen Innovationen dar. What’s next? fragen die 18 (inter-)nationalen Expert:innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft und entwerfen eine Impact Agenda 2030, die sich sehen lassen kann.
Zur Umsetzung der Vorschläge des Vision Papers sei es dabei von „entscheidender Bedeutung“, dass die SIGU-Strategie „vollständig umgesetzt wird und die Umsetzungsschritte transparent nachgehalten werden“. Einen weiteren Schritt in diese Richtung könnt ihr bald auf dieser Plattform mitverfolgen: Gemeinsam mit BMBF und dem Bundeministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) werden wir einen eigenen Bereich zum Umsetzungsstand der SIGU-Strategie schaffen. Die Bundesregierung möchte damit zeigen: Sie lässt den Worten Taten folgen.
Um die Vision und Ziele der SIGU-Strategie (2023) auf‘s nächste Level zu heben, entwirft das Vision Paper nun Handlungsempfehlungen für eine SIGU-Strategie 2.0. Anhand von sieben Hebeln gibt es damit kommenden Regierungen und Entscheidungsträger:innen konkrete Vorschläge an die Hand und wirbt entschieden dafür, beim Auf- und Ausbau einer impact-getriebenen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft weiter Gas zu geben.
Inspirieren lässt sich der Beirat dabei von zahlreichen Beispielen aus und außerhalb der EU.
Was steckt drin im Vision Paper? Das Wichtigste auf einen Blick.
Eine langfristige Impact Agenda mit ambitionierten Sektor-Ausbauzielen soll partizipatorisch und sozial-innovativ entwickelt werden. Eine Methode dafür könnte etwa ein „technologie- und KI-basierter offener sozialer Innovationsprozess“ sein, der durch die Plattform und einen Beirat unterstützt wird.
Ein Gesetz zur Anerkennung und Legitimierung der Sozialwirtschaft solle dazu beitragen, den Sektor strukturell zu verankern und eine ganzheitliche Politik für alle Akteursgruppen zu gestalten. Damit erhalten die vielen einzelnen Branchen innerhalb des Impact-Sektors (zum Beispiel Wohlfahrt, Social Entrepreneurs, NGOs, NPOs etc.) ein ihrem gesamtgesellschaftlichen Wert angemessenes Gewicht und politische Beachtung.
Dazu empfiehlt das Vision Paper "nachdrücklich" eine bessere Datenlage für den Sektor, die Einführung einheitlicher Methoden zur Wirkungsmessung sowie die Etablierung von Wirkungsstandards. Es herrsche ein „dringender Bedarf an Statistiken, die den Bezug zum Wirtschaftssektor als Ganzes aufzeigen“. Ihr Fehlen führe dazu, dass der Sektor in Teilmärkte zersplittert erscheint und „als Nische für Politik und Wirtschaft wahrgenommen“ und sein Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfung nicht ausreichend geschätzt werde. Hierfür solle die erzielte Wirkung außerdem „zugänglich, verwertbar und vergleichbar“ gemacht, der geschaffene Wert einer Sozialen Innovation also auch in Währung und Euro übersetzt werden. Sprich: Wie viel gesellschaftlichen und finanziellen Mehrwert, wie viel Social Return on Investment, hat eine Soziale Innovation tatsächlich erzielt?
Untersuchungen wie beispielsweise von McKinsey und Ashoka (2019) haben sich dieser Frage in der Vergangenheit gewidmet. Hierfür, so das Vision Paper, brauchen wir jedoch praktikable und in der Breite einsetzbare Bewertungskoeffizienten und -methoden, die jedoch schon in den Startlöchern stünden. Dies ist notwendig, um deutlich zu machen, dass Soziale Innovationen die öffentlichen Haushalte entlasten und Investitionspriorität genießen sollten.
Soziale Innovationspolitik ist von herausragender Bedeutung. Sie sollte dementsprechend zur „Chefsache“ gemacht und durch das Bundeskanzleramt gesteuert werden. Eine oder ein Staatsminister:in im Kanzleramt könnte die Umsetzung und Koordination übernehmen. Die Plattform könnte dabei in dieser Vision eine zentrale Rolle übernehmen. Sie wäre das Zentrum, das „Soziale Innovation bereichsübergreifend ermöglicht, koordiniert und vorantreibt“ und je nach Budget-Ausstattung die Strategie der Regierung auch operativ umsetzen könnte.
Durch einen langfristig angelegten Social Impact Fonds – finanziert durch Bundes-, Landes- und EU-Mittel, nachrichtenlose Vermögenswerte sowie private Co-Investitionen – könnte (dem Beispiel des britischen Better Society Capital folgend) dringend benötigtes Milliardenkapital mobilisiert und in den Sektor investiert werden.
Die Zahl der sogenannten Impact Start-ups solle von derzeit 40% auf 80% erhöht werden. Es brauche darüber hinaus größere Skalierungs-, also Wachstumserfolge bei Impact-orientierten Unternehmen – und mehr Investitionen in Skalierungs- und Wachstumsvorhaben. Eine größere Zahl an Impact Unicorns könne weiterhin zu einem Hype beitragen und Top-Talente anwerben, die gesellschaftliche und/oder ökologische Wirkung als einen echten Karrierepfad für sich entdecken. Impact Unicorns könnten hier Sichtbarkeit und eine Sogwirkung schaffen sowie eine Inspiration für weitere Start-ups sein.
Impact Unicorns definiert der Beirat als Organisationen, die entweder einen "Social Return on Investment" von 1 Milliarde Euro erzielen oder 1 Millionen Menschenleben berühren und ihren Unternehmenszweck an den Sustainable Development Goals (SDGs) ausgerichtet haben.
Deutsche Hochschul- und Transferprogramme fokussieren sich in ihren Gründungprogrammen nach wie vor sehr auf Tech-Innovationen. Dabei, so das Vision Paper, „spielen Unternehmertum, Technologie, Automatisierung und Digitalisierung eine entscheidende Rolle bei der Skalierung Sozialer Innovationen.“ Es bedürfe einer größeren Integration von Sozialer Innovation, Technologie und Unternehmertum in der Hochschulausbildung und Gründungsförderung (etwa durch wirkungsorientierte Curricula, Impact-Tracks und Trainingsmodule an allen technologieorientierten Hochschulen und Transferzentren, um mehr Gründungsinteressierte an Soziale Innovationen heranzuführen). Spezielle Impact-Exzellenzcluster in den Transferzentren sollen „junge Talente an die Lösung sozialer Probleme mit unternehmerischen Mitteln heranführen, mehr "Impact Start-ups" hervorbringen und bestehenden Organisationen helfen, ihre Lösungen zu skalieren.“
Soziale Innovationen reduzieren gesamtgesellschaftliche (Folge-)Kosten. Sie tragen dazu bei, staatliche Ausgaben nachhaltig zu reduzieren. Die bestehenden Hürden für sozial-innovative Akteur:innen, effektiv und kostensparend arbeiten zu können, könnten durch „zweckgebundene Budgets, möglicherweise durch Quoten und durch die Entwicklung von Fachwissen in der öffentlichen Verwaltung und nicht zuletzt durch den Abbau von Bürokratie gesenkt werden.“
Wohlfahrtsverbände sollten in die Lage versetzt werden, wirksame Intrapreneurship-Programme zu verfolgen. Sie benötigen dafür ein Ökosystem, das für ausreichend Finanzierung und Kompetenzen in ihren Organisationen sorgt.
Fazit
Das Vision Paper des Internationalen Beirats für Soziale Innovationen bietet eine entschlossene Roadmap, um Deutschland zur “Impact Republik” zu entwickeln. Durch eine umfassende Impact Agenda 2030, moderne Finanzinstrumente und ein unterstützendes Ökosystem soll der Sektor in die Mitte politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen katapultiert, entsprechend seiner tatsächlichen gesamtgesellschaftlichen Wirkung wertgeschätzt und langfristig ausgestattet und weiterentwickelt werden.
Der BMBF-Beirat für Soziale Innovation, gegründet im November 2023, berät das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und setzt sich dafür ein, kreative und unternehmerische Lösungen zur Bewältigung großer gesellschaftlicher Herausforderungen zu fördern.