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Wie ländliche Regionen nachhaltig Wirkung schaffen

22. Mai 2025

Regionen im Aufbruch in Niederbayern und Brandenburg

Wir müssen raus aus der Blase! – Kaum ein Leitsatz wird in der Impact-Welt mehr bemüht als dieser. Und das stimmt auch. Echte Wirkung auf breiter Fläche entsteht nicht in Silos. Sie steht auf vielen unterschiedlichen Schultern. #GemeinsamWirken. Die Frage ist jedoch: Wie kommen wir denn raus aus der Blase? Wie schaffen wir querbeet neue Allianzen für echte systemische Wirkung?

Dafür lohnt es sich, an Orte zu schauen, die wir zu Unrecht oft eher weniger als Antwort auf und Vorbild für komplexe gesellschaftliche Fragen vermuten: Einige ländliche Regionen im Aufbruch schaffen nämlich das, was selbst in großen Städten ein dickes Brett ist. Sie schaffen neue Kooperationsmodelle, bündeln die oft wenigen lokalen und regionalen Ressourcen, sektorübergreifend und auf Augenhöhe. Und sie zeigen, wie essenziell Kooperationen und Mitstreiter:innen aus allen Lagern sind, um regionale Entwicklung und Gemeinwohl voranzutreiben.

Zwei Beispiele aus Niederbayern und Brandenburg machen solche sozial-innovative Kooperationsansätze zu ihrem Markenkern und Erfolgsfaktor: Die Innovationsplattform Silicon Vilstal in Niederbayern und das Netzwerk Zukunftsorte in Brandenburg.

Impulsgeber Silicon Vilstal: Aufbau einer Sozialen Innovationsregion in Niederbayern  

Bei der zivilgesellschaftlichen Innovationsplattform Silicon Vilstal gehen engagierte Ehrenamtliche, Bürgermeister:innen, Social Startups, Unternehmen und Hochschulen gemeinsam neue Wege. Ihr Gründer Helmut Ramsauer, im Hauptberuf Strategieberater und beruflich in der Tech-Szene beheimatet, ist davon überzeugt, dass uns technische Innovationen bei vielen gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen nicht weiterhelfen werden. Im Ehrenamt baut er mit Silicon Vilstal in der Region Brücken zwischen Akteuren aus verschiedenen Sektoren und bahnt Wege für Soziale Innovationen in Niederbayern.

Gruppenfoto: Team Silicon Vilstal, Erlebnisfestival 2024
Team Silicon Vilstal, Erlebnisfestival 2024 ©Matthias Ammer

Silicon Vilstal arbeitet darauf hin, ein regionales Ökosystem für Soziale Innovationen zu schaffen – dies zusammen mit Partnern mit dem Wirkungsziel der Steigerung der Resilienz der Region sowie des Regionalglücks. In kompetenz- und ressourcenorientierter Rollenverteilung kooperieren Zivilgesellschaft, Wohlfahrtsorganisationen, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft, um Soziale Innovationen zu fördern.

Silicon Vilstal zeigt, wie Soziale Innovationen in ländlichen Räumen gefördert werden können – partizipativ, aus der Region heraus, innovativ und kooperativ. Die Aktivitäten der mittlerweile vielfach ausgezeichneten Innovationsplattform reichen von Formaten im Bereich Kreativität, Innovation und Entrepreneurship bis hin zu partizipativer Ortskern- und Regionalentwicklung.

Alles beginnt mit Begegnung, Austausch und gemeinsamen Handeln und dann auch Räumen und Orten, die einen Mehrwert für das Gemeinwohl erzeugen können. Darauf setzt auch Silicon Vilstal mit Begegnungsformaten, wie beispielsweise ein regelmäßiges „Offenes Wohnzimmer“, wo sich Menschen aus der Region begegnen können, die ansonsten nicht zusammengekommen wären.

Mit Begegnungs- und Ausprobierformaten im Bereich Kreativität, Innovation und  Entrepreneurship sowie Mitmach-Events wie dem „Offenen Wohnzimmer“, Bildungsangeboten wie KI-und MINT-Workshops für Kinder und Jugendliche, seinem jährlichen Erlebnisfestival, einem Social Innovation Hackathon und dem Programm „Bauer sucht Startup“, bei dem Social Startups ihre Produkte und Dienstleitungen in der Region testen können – hat sich Silicon Vilstal schrittweise von lokalen Aktivitäten hin zum Aufbau eines regionalen Ökosystems für Soziale Innovationen in Niederbayern gemeinsam mit vielen Partnern, entwickelt. Dabei übernehmen die  Partnerorganisationen in dem regionalen Ökosystem kompetenz- und ressourcenorientiert Rollen in der Region ein. So gibt es beispielsweise Akteure, die das Netzwerk koordinieren, die Begegnungsorte für Austausch und Vernetzung schaffen, Lerninteressierte in sozialen Berufen ausbilden, soziale Gründungen und Startups fördern, Sichtbarkeit schaffen, Reallabore ins Leben rufen, Wissen generieren und so weiter.

Seit 2019 ist die Region, die von der Europäischen Kommission erste anerkannte und bislang einzige ländliche „European Social Economy Region“ Deutschlands. 2024 wurde Silicon Vilstal mit dem European Enterprise Promotion Award ausgezeichnet.

Wie Silicon Vilstal diese Projekte umsetzt und welchen Grundprinzipien sie dabei erfolgreich folgen, erfahrt ihr in unserem ausführlichen Portrait über Silicon Vilstal.  

Literaturtipp: “Einfach mal machen”

Wie könnt ihr als Initiative mit überschaubaren Projekten starten und zusammen mit anderen Partnern euer Ortszentrum bedarfsorientiert und lebendig gestalten? “Einfach mal machen” ist die Devise bei Silicon Vilstal und sie prägte den Titel des Praxisbuches “Einfach mal machen – Ein Praxisleitfaden für wirksames Engagement vor Ort” (2023), herausgegeben von der Wüstenrot Stiftung & Silicon Vilstal, verfasst von der Autorin Eva Clara Tenzler. Das Buch bietet praktische Leitfäden, bewährte Methoden und wertvolle Tipps für eure Projekte. Hier geht’s zum Download bei der Wüstenrot Stiftung.

Netzwerk Zukunftsorte: Vom Leerstand zum impulsgebenden Möglichkeitsraum mit Anziehungskraft für die Region

Das Netzwerk Zukunftsorte in Brandenburg hat einen anderen Schwerpunkt: Wie lassen sich leerstehende und ungenutzte Gebäude in ländlichen Räumen und von Abwanderung betroffene Kleinstädte zukunftsfähig gestalten? Das Netzwerk Zukunftsorte zeigt, wie es geht: durch die gemeinwohlorientierte Aktivierung von Leerstand. Es setzt den Fokus auf die Transformation leerstehender Gebäude in neue Lebens-, Arbeits- und Begegnungsorte durch oftmals städtisch geprägte Menschen, die auf’s Land ziehen und Leerstand gemeinwohlorientiert entwickeln können. Es bietet eine Wissensplattform für Wissenstransfer und Austausch und unterstützt Initiativen mit verschiedenen Lernformaten und einem starken Netzwerk von Peer-Coaches sowie Expert:innen.

Viele Kommunen sind mit der Reaktivierung von leerstehenden Gebäuden oder den bei Abriss anfallenden Kosten überfordert (vgl. NZO 2024, 5). Und genau hier setzt die Arbeit des Netzwerks an und eröffnet durch sektorübergreifende Kooperationen neue Lösungskorridore: Gemeinsam mit Kommunen und Immobilienbesitzer:innen, die leerstehende Immobilienbestände zu vergeben haben, Architekt:innen, die auch älteren Leerstand nachhaltig entwickeln können und Rückkehrer:innen, Zugezogenen, lokale Initiativen sowie Sozialunternehmer:innen, die diese Orte gemeinwohlorientiert gestalten können.

Zukunftsorte wie das PFHAU Greiffenberg, der Marktplatz Waldschänke oder das COCONAT entstehen oft durch zivilgesellschaftliches Engagement von Rückkehrer:innen oder Stadtbewohner:innen, die neue Lebens- und Arbeitsmodelle auf‘s Land bringen. Viele der Zukunftsorte sind sogenannte „Dritte Orte“. Gemeinsam schaffen sie Räume, in denen Wohnen, Arbeiten, Kultur und Teilhabe neu gedacht und lokal umgesetzt werden. Das Besondere: Die Orte verbinden Stadt- und Landperspektiven, fördern demokratisches Engagement und den gesellschaftlichen Zusammenhalt und sie erhöhen die Lebensqualität durch Angebote der Daseinsvorsorge wie Bildung, Kultur, Freizeitangebote für Jung und Alt sowie Offener Treffpunkte. Darüber hinaus stoßen sie Projekte zu zukunftsrelevanten Themen an, wie zum Beispiel zur Energieversorgung, Mobilität, Nachhaltigkeit oder Ernährung (vgl. NZO 2020, 7). Zukunftsorte stärken die regionale Wirtschaft, etwa durch Co-Working und durch neue Kooperationen. Durch ihre gesellschaftliche Anziehungskraft machen Zukunftsorte eine Region attraktiv für weiteren Zuzug, wie von Familien, Startups und von weiteren Fach- und Arbeitskräften, wie beispielsweise Ärzt:innen, Erzieher:innen und Handwerker:innen, die dringend gebraucht werden (vgl. NZO 2024, 7 ; NZO 2020, 7).

Literaturtipp: “How to Dritter Ort”

In ländlichen Regionen schlummert riesiges Potenzial – doch es braucht Orte, an denen dieses Potenzial aufblühen kann. Das Handbuch „How to Dritter Ort“ des ImPuls Brandenburg e.V. unterstützt beim Aufbau von Dritten Orten als lebendige Treffpunkte für Austausch, Kreativität, Kultur, Lernen und Gemeinschaft. Dritte Orte sind weder Zuhause noch Arbeitsplatz, sondern Räume, in denen Kultur, soziales Miteinander, demokratische Teilhabe, gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie Orte, an denen Lösungen von und für die Region wachsen können. 

Ob leerstehendes Ladenlokal, ehemaliger Bauernhof oder stillgelegter Bahnhof – Dritte Orte entstehen dort, wo engagierte Menschen Vision und Mut aufbringen. Dieses Handbuch liefert dafür konkrete Werkzeuge, Inspiration und Praxiswissen. Hier geht’s zum Download des Handbuchs “How to Dritter Ort”

Das Ziel des Netzwerk Zukunftsorte ist der Aufbau eines Ökosystems für kooperative Leerstandsaktivierung, das Orte nicht nur funktional, sondern auch sozial neu auflädt. Bis 2030 sollen 1000 Zukunftsorte als Impulsgeber in Brandenburg geschaffen werden. Wer nachhaltige Strukturen schaffen und den ländlichen Raum aktiv mitgestalten möchte, findet im Netzwerk Zukunftsorte eine starke Gemeinschaft und wertvolle Expertise. Die wichtigste Botschaft: Leerstand ist kein Mangel, sondern eine Chance (vgl. NZO 2024, 5) Und diese Chance beginnt mit Vernetzung – lokal, regional und bundesweit.

Weitere Angebote des Netzwerks Zukunftsorte

Das Starke Orte Netzwerk ist eine kollegiale Plattform speziell
für kleine Gemeinden sowie kleinere und mittlere Städte. Sie richtet sich an
Bürgermeister:innen, Kommunalvertreter:innen und Mitarbeitende in
Behörden, die sich mit der gemeinwohlorientierten Bestandsentwicklung befassen.
Das Netzwerk bietet Raum für Austausch, Weiterbildung und gegenseitige
Inspiration. Hier geht’s zum
Starke
Orte Netzwerk
.

Die Vernetzungsstelle bringt innovative Macher:innen mit Kommunen
und Immobilienbesitzer:innen für neue Räume und Wirkungsorte für soziale,
kreative und gemeinwohlorientierte Unternehmen und Initiativen in Brandenburg
zusammen. Hier geht‘s zu
WIR
Räume
.

Einige Zukunftsorte bieten bereits erste Strukturen für Social
Startups und fungieren als Hubs. Die GO! Plattform ist eine neue bundesweite
Lern- und Beratungsplattform zum Aufbau von Hubs für Gemeinwohlorientierte
Unternehmen in strukturschwachen Regionen. Hier geht’s zur
GO!
Plattform
.

Fazit: Aktuelle Herausforderungen brauchen neue Allianzen

Der Historiker Yuval Noah Harari schreibt in seinem Bestseller „Nexus – Eine kurze Geschichte der Informationsnetzwerke von der Steinzeit bis zur künstlichen Intelligenz“ (2024), dass viele Menschen in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft soziale Veränderungen durch gemeinschaftliche Ansätze initiiert und aufrechterhalten hätten. Menschen regieren die Welt nicht deshalb, weil sie so intelligent sind, sondern weil sie die einzigen Lebewesen seien, die flexibel in großer Anzahl kooperieren können. Innovation sei keine Schöpfung Einzelner. Sie entsteht durch Veränderungen, die sich im Laufe der Zeit ansammeln, wenn Gemeinschaften und Gruppen Informationen austauschen, vielversprechende Ideen weiterentwickeln und gemeinsam Probleme lösen.

Sowohl Silicon Vilstal als auch das Netzwerk Zukunftsorte zeigen genau das: Veränderung geht nur im Verbund mit anderen, am besten anhand einer ganz konkreten Herausforderung, hinter der sich eine breite Gruppe an unterschiedlichen Akteuren versammeln und Ressourcen für ein gemeinsames Ziel bündeln. Kleine Vorhaben fungieren dabei oft als Türöffner. Sie zeigen Lösungskorridore für spezifische Fragen auf, für die es eine ausreichende Schnittmenge an Interessen gibt. Daraus erwächst Vertrauen in Ideen, Menschen und Prozesse.

Diese Projekte rufen dazu auf, die eigene Komfortzone zu verlassen und neue Möglichkeitsräume zu identifizieren sowie eine sektorübergreifende und lösungsorientierte Schwarm-Intelligenz zu nutzen. In Zeiten, in denen Kollaborationen über Unterschiede hinweg, immer wichtiger und gleichzeitig immer schwieriger werden (oder erscheinen), bieten solche, auf‘s Kollektiv bauenden Soziale Innovationen, Pionierlösungen für den Weg nach vorne und ein echtes #GemeinsamWirken.

Foto Tanja Kersting

Tanja Kersting, Projektmanagerin bei der Plattform für Soziale Innovationen & Gemeinwohlorientierte Unternehmen