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Interview mit Friederike Petersen von der Stiftung Bürgermut

31. März 2025

Friederike Petersen leitet bei der Stiftung Bürgermut das Programm openTransfer Zusammenhalt und übernimmt als Teil der Geschäftsleitung übergeordnete Aufgaben. Zuvor leitete sie auch das Programm D3 – so geht digital. Schon seit ihrer Tätigkeit als Referentin für Demokratiestärkung im ländlichen Raum beim Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement liegt ihr die Unterstützung engagierter Menschen vor Ort am Herzen. Friederike studierte Politik- und Islamwissenschaft in Jena und gründete dort zwei Vereine für Patenschafts- und Mentoringarbeit sowie Jugendmedienarbeit.

Bei der Stiftung Bürgermut setzt ihr euch für eine offene und vielfältige Gesellschaft ein: Was treibt euch genau an? Was ist eure Vision und Mission?

Friederike: Unser Stifter Elmar Pieroth hat damals ein Buch gelesen, das ihn zur Stiftungsgründung inspirierte: „Kopf hoch Deutschland – Optimistische Geschichten aus einer verzagten Republik.“ Darin ging es um Menschen, die nicht verzagen oder meckern, sondern einfach anpacken und mit ihren Projekten die Welt ein Stück besser machen. Es geht um Macher:innen, die pragmatische Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen finden und andere an ihren Erfahrungen und Erkenntnissen teilhaben lassen.

Seit 2007 unterstützen wir also als Stiftung Bürgermut engagierte Bürger:innen und gemeinwohlorientierte Organisationen dabei, innovative Lösungen zu entwickeln, sie zu skalieren und weiterzugeben. Das kann eine lokale Genossenschaft sein, die die letzte Dorfkneipe rettet, ein Leihoma-Projekt für junge Eltern oder Empowerment-Angebot für Geflüchtete.

Wir sind davon überzeugt, dass die besten Lösungen für die drängenden sozialen, ökologischen und politischen Herausforderungen unserer Zeit in der Mitte der Zivilgesellschaft entstehen – im Verein, in der Nachbarschaft, in privaten Initiativen, in kleinen und großen Organisationen. Leider bleibt die Wirkung dieser Lösungen oft begrenzt, weil sie nicht systematisch geteilt und skaliert werden. Das zu ändern, sehen wir als unsere Aufgabe.

Insbesondere mit unserem Dachprogramm openTransfer schaffen wir eine Plattform für engagierte Menschen und ihre Organisationen, die in unseren Programmen openTransfer Accelerator, openTransfer Klima, openTransfer Patenschaften, openTransfer wohnen und openTransfer Zusammenhalt andocken können.

Als Plattform spielt für uns die Vernetzung eine zentrale Rolle: Organisationen, Vereine, Initiativen und Einzelpersonen können hier miteinander in Kontakt treten, Erfahrungen austauschen und Kooperationen aufbauen – natürlich auch mit potenziellen Verbündeten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Das geschieht in fast allen unseren Formaten, das Herzstück sind aber unsere openTransfer CAMPs. Von diesen Barcamps gibt es jährlich mehrere.

Wir stellen zudem eine Reihe von Ressourcen bereit. Dazu gehören Weiterbildungen, Workshops und Trainings, Hospitationen, die Vermittlung von Coachings oder digitalen Tools (allen voran unser Tool codo für Patenschafts- und Mentoringorganisationen).
Wissenstransfer spielt für uns ebenfalls eine wichtige Rolle. Ob Peer-Coachings, Publikationen wie unseren E-Books oder unserem Mut-Block: Mit Praxiseinblicken und aufbereitetem Wissen zu Skalierung und Organisationsentwicklung unterstützen wir das Lernen und die Entwicklung innerhalb der zivilgesellschaftlichen Gemeinschaft.

Je nachdem, wie lang und intensiv wir ein Programm schon durchführen, haben sich Communities gebildet, die auch ohne uns als Mittlerorganisation miteinander in Austausch stehen und sich unterstützen. Dazu gehören allen voran die bisher neun Jahrgänge unseres Stipendienprogramms openTransfer Accelerator.
Um eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Organisationen und Individuen zu fördern, haben wir bei der Stiftung Bürgermut eine Reihe von Ansatzpunkten identifiziert.

Erstens ist eine offene und transparente Kommunikation entscheidend. Die hilft auch bei der Erarbeitung des zweiten wichtigen Punktes: klare Ziele und gemeinsame Werte. Drittens spielt die Unterstützung durch äußere Strukturen eine große Rolle. Dazu gehören beispielsweise Förderprogramme, die Ressourcen bereitstellen, sowie Netzwerke, Orte bzw. Räume, die den Austausch und die Vernetzung zwischen verschiedenen Akteuren ermöglichen. Schließlich ist es wichtig, dass es einen rechtlichen Rahmen gibt, der innovative Ansätze und Kooperationen nicht behindert, sondern fördert.
© openTransfer

Welche äußeren Strukturen und Rahmenbedingungen benötigt es dafür?

Mit Blick auf die Kommunikation ist natürlich wichtig, dass alle Beteiligten die Möglichkeit haben, ihre Ideen und Bedenken zu äußern, um ein vertrauensvolles Miteinander zu schaffen. Dabei hilft Methoden- und Moderationswissen, das man in Workshops erwerben kann, genauso wie gezielte Begleit- und Reflexionsangebote. Ohne diese Kommunikationsbasis ist es kaum möglich, klare Ziele und gemeinsame Werte zu erarbeiten.


Damit externe Beratungs- und Begleitstrukturen, aber auch Fördergeber:innen einen positiven Impact auf gemeinsames Wirken haben, müssen sie natürlich bedarfsorientiert arbeiten. Das bedeutet vor allem Augenhöhe, Austausch und die Bereitschaft dieser Strukturen bzw. ihrer Vertreter:innen, sich immer wieder mit ihrer Zielgruppe auf neue Herausforderungen einzulassen, Unterstützungsangebote zu verbessern und mitzuwachsen.

Wir schaffen in unseren Formaten immer wieder Inspirations- und Lernorte, in denen Collective- Impact-Projekte und Strukturen vorgestellt und analysiert werden. Besonders gern hören wir dabei nicht nur von den Erfolgsgaranten, sondern auch den Fehlversuchen, den verworfenen Prozessen – oder den erst nachträglich eingezogenen Routinen. Wir wollen das Wissen teilen, wie der Weg zu einer guten Zusammenarbeit aussah und welche Bedürfnisse sowie Stolperfallen man früher in den Blick nehmen kann.

In unseren Programmen bauen wir immer wieder Matching-Elemente ein, die Teilnehmende gezielt auf Basis ihrer aktuellen Entwicklungsstufe oder einer gemeinsamen Herausforderung in einen zielgerichteten Austausch bringt. Diese wechselseitige Beratung und Selbstreflexion kann helfen, den eigenen Weg noch besser zu gehen. Das geschieht neben unseren Accelerator-Workshops auch im Rahmen unserer Skalierungswerkstatt, in den Wirkungsprints von openTransfer Zusammenhalt und weiteren Formaten.
Dazu habe ich meine beiden Kolleg:innen Julia und Michael aus dem Accelerator-Team befragt, denn sie sind an den wachsenden Organisationen ganz nah dran. Der erste Punkt, den beide nannten, sind die Veränderungen im Team während der Skalierung. Sie können schnell zu Wachstumsschmerzen werden, wenn beispielsweise die Organisation wächst, oder andere Aufgaben hinzukommen. Das kann zum Beispiel die neue Rolle sein, die Standorte zu koordinieren, oder wenn Personen, die vorher eher im direkten Kontakt zu den Zielgruppen standen, mehr und mehr administrative und Management-Aufgaben übernehmen.

Wir erleben immer wieder, wie grundlegend es ist, sich mit dem eigenen “Wirkungskern” zu beschäftigen, wenn man skalieren möchte. Dahinter steht vor allem die Frage: Was sind eigentlich die Elemente in unserer Arbeit, die wirklich zu einer Wirkung führen? Das Schmerzhafte daran kann sein, dass die Antwort auf diese Frage auch Formate und Prozesse infrage stellen kann, wenn Dinge nicht auf den Wirkungskern einzahlen. Sich von liebgewonnenen Routinen zu verabschieden, ist nicht immer leicht.

Und natürlich spielt das Thema Resilienz eine große Rolle, deswegen ist sie auch das Leitthema beim Festival der Skalierung 2025. Gerade die Skalierungsphase kann für Teams zusätzliche Belastungen mit sich bringen. Das muss sich nicht in vielen Überstunden äußern, sondern kann sich auch darin zeigen, dass Mitarbeitende größeren Erfolgsdruck wahrnehmen – z. B. wenn Organisationen sich für die Skalierung Strukturen schaffen, die so groß sind, dass sie erst noch hineinwachsen müssen.

All das haben schon viele Organisationen durchgemacht, oder stecken mitten drin. Diese Erfahrungen zu teilen, bedeutet, voneinander zu lernen. Das gelingt natürlich besonders gut durch Begegnungen und Gespräche, zum Beispiel auf dem Festival der Skalierung.
Egal für welches Format gilt: Es ist immer gut, sich aus der eigenen Blase herauszubewegen. Wir haben im openTransfer Accelerator gute Erfahrungen damit gemacht, dass hier Organisationen aus ganz unterschiedlichen Themenfeldern zusammenkommen. Das hilft, schneller auf der strategischen Ebene zu sprechen und nicht im Inhaltlichen zu verharren.

© openTransfer / Festival der Skalierung 2024

Festival der Skalierung

Meldet euch jetzt zum Festival der Skalierung am 29.4.2025 in Frankfurt am Main an.


In herausfordernden Zeiten ist Kollaboration unser stärkstes Werkzeug. Gemeinsam schaffen wir liebevoll komponierte Lösungen, die unsere Themen und Gemeinschaften voranbringen.

Friederike Petersen

Rechtsruck, Klimakrise, Wohnungskrise, Krieg – wir stehen Polykrisen gegenüber: Welche Bedeutung haben Netzwerke in unserer heutigen Zeit?

Friederike: Die kurze Antwort ist: Ohne sie haben wir kaum eine Chance. Netzwerke ermöglichen den Austausch von Informationen, fördern die Zusammenarbeit und helfen, Lösungen für komplexe Probleme zu finden. Netzwerke fördern die Mobilisierung von Gemeinschaften und stärken das Bewusstsein für soziale und ökologische Themen. In Krisenzeiten sind sie oft entscheidend, um schnell auf Veränderungen zu reagieren und kollektive Handlungsstrategien zu entwickeln.
Noch etwas weiter greift das Konzept sozialer Ökosysteme, wenn wir den Krisen unserer Zeit begegnen wollen. Soziale Ökosysteme sind mehr als nur Netzwerke; sie sind dynamische, interaktive Systeme, die verschiedene Akteure, Ressourcen und Beziehungen miteinander verbinden. In ihnen geht es oft mehr um Kollaboration als um Kooperation. Das Vertrauen und der Aufbau langfristiger Beziehungen nimmt hier eine wichtigere Rolle ein. Das stärkt die individuelle wie kollektive Resilienz, wenn es um uns herum kriselt.

Das ist wohl die große Frage unserer Zeit. Ein großes Problem derzeit ist, dass die Zivilgesellschaft stark im Reaktionsmodus ist: auf den Rechtsdruck, auf die Klimakrise, auf Kriege und soziale Schieflagen. Zivilgesellschaft findet hier immer wieder tolle Lösungen und geht mit elementaren Hilfsangeboten an den Start. In dieser Mühle des Reagierens kommt es aber nicht selten zu ausgebrannten Aktivist:innen und schrumpfenden Räumen für selbstwirksames Gestalten.

Was zu diesem Nährboden für mutige Gestaltung beitragen könnte: Freiräume zum Denken (zeitlich wie physisch), Förderung mit Vertrauen in die Kompetenzen und Ansätze von Organisationen (da gibt es schon wunderbare Beispiele etwa aus der Initiative #VertrauenMachtWirkung) und professionelle sowie Peer-Austauschräume, in denen gemeinsam weitergesponnen und reflektiert werden kann, aber auch mit schwierigen Situationen vertrauensvoll gearbeitet werden kann. Das probieren wir, in unseren Angeboten zu befördern.

Eine gute Fehlerkultur ist sicherlich ein wichtiger Bestandteil einer resilienten Organisation. Wir arbeiten seit mehr als sieben Jahren agil nach dem Scrum-Framework. Hier gibt es am Ende einer jeden Arbeitsphase (ein Sprint dauert bei uns vier Wochen) eine Review. In dieser schaut sich das Team die vorgenommenen Arbeitspakete genauer an und reflektiert, wie die zurückliegenden Wochen gelaufen sind. Dadurch haben wir zum einen die Chance, rechtzeitig nachzusteuern, wenn etwas aus dem Ruder zu laufen droht. Oder wir können reflektieren, woran es lag, wenn etwas nicht funktioniert hat. Entsprechend können wir dann im nächsten Sprint klüger oder mit einem neuen Angebot starten. Bei individuellen Fehlentscheidungen gilt im Normalfall immer die Annahme, dass diese nach bestem Wissen getroffen wurden und wir etwas dabei gelernt haben. Das Schlimmste wäre, diese Fehler unter den Teppich zu kehren. Durch tägliche Dailys in unseren Routinen und Retrospektiven am Ende der Sprints können solche kleinen Fehler im Alltag aber meist schnell besprochen und neu angegangen werden.

Warum macht Co-Creation so viel Spaß? Was sind die größten Hebel, die aus einem gemeinsamen Wirken entstehen können?

Friederike: Verzahnte Lösungen oder vielmehr Wirkungsketten machen es leichter, sich in der eigenen Arbeit auf einen Baustein zu konzentrieren und für seine Zielgruppen trotzdem Angebote für weitere Bedarfe, das Davor oder Danach um sich zu wissen. Co-Creation verhilft zu einer Vielfalt der Ideen, wodurch bessere und alternative Lösungsansätze entstehen können. Wer co-kreativ arbeitet, investiert in starke Beziehungen, Vertrauen und den Teamgeist. Man arbeitet weniger im Konkurrenzmodus. Allein damit entsteht mehr Freude bei der Arbeit – und die haben wir alle nötig, wenn wir uns für eine bessere Welt einsetzen.

Das Interview haben wir im März 2025 durchgeführt. Vielen Dank an Friederike Petersen und die Stiftung Bürgermut!