Bei der Förderung wissenschaftlicher Arbeiten zu Sozialen Innovationen und Gemeinwohlorientierten Unternehmen hat die EU-Kommission lange eine Vorreiterrolle eingenommen. So förderte sie schon früh Forschungsaktivitäten rund um Soziale Innovationen. Insbesondere das 7. Forschungsrahmenprogramm in den Jahren 2007 bis 2013 sticht hier hervor. Mit Projekten wie CRESSI (SSH2013.1.1-1), SI-DRIVE (SSH.2013.3.2-1), SIMPACT (SSH2013.1.1-1), TEPSIE (SSH.2011.1.3-1), TRANSIT (SSH.2013.3.2-1) oder WILCO (SSH-2010-2.1-2) wurden eine ganze Reihe breit angelegter Projekte gefördert, in denen internationale Konsortien das Forschungsfeld Soziale Innovation theoretisch wie empirisch enorm weiterentwickelt und gleichzeitig eine Forschungscommunity aufgebaut haben. Vielfach waren auch deutsche Wissenschaftler:innen und wissenschaftliche Einrichtungen an solchen Konsortien beteiligt.
Diese internationalen, inter- und häufig transdisziplinären Forschungsvorhaben waren Meilensteine zu einem besseren Verständnis Sozialer Innovationen. Gleichzeitig brachten sie Impulse in die EU-Mitgliedsstaaten, sich stärker mit dem Themenspektrum rund um Soziale Innovationen zu befassen – in Forschung, Politik und Praxis. Die folgenden Rahmenprogramme Horizont 2020 (2014 – 2020) und Horizont Europa (2021 – 2027) ermöglichten es, die wissenschaftlichen Arbeiten zu Sozialen Innovationen fortzuführen, und brachten eine gewisse Kontinuität in die wissenschaftliche Arbeit sowie wichtige Impulse für die Etablierung eines eigenen Forschungsfeldes. Parallel zur Forschung förderten die Rahmenprogramme auch praxisorientierte Aktivitäten in anderen Programmfamilien, wie Erasmus, Interreg oder dem Europäischen Sozialfonds (ESF). So wurden mit Unterstützung des ESF+ und des EU-Programms für Beschäftigung und Soziale Innovation (EaSI) ab 2021 Nationale Kompetenzzentren für Soziale Innovationen eingerichtet, um bessere Voraussetzungen für Soziale Innovationen in den Mitgliedsstaaten zu schaffen. Nun steht die Ausgestaltung der neuen Programmperiode 2028 – 2034 vor der Tür. Vor dem Hintergrund sich verändernder politischer Rahmenbedingungen wird diskutiert, wie es nun mit der Förderung von Wissenschaft und Praxis rund um Soziale Innovation weitergehen sollte – so auch im Rahmen von zwei Veranstaltungen, die in den vergangenen Wochen stattfanden.
Social Innovation Forum 2024
Einen Blick in die Zukunft von Sozialen Innovationen in Europa warf im Oktober dieses Jahres das Social Innovation Forum in Brüssel. Eingeladen hatte die Social Innovation+ Initiative, die durch das Europäische Kompetenzzentrum für Soziale Innovationen in der European Social Fund Agency in Vilnius betreut wird. Im Vordergrund der zweitägigen Veranstaltung stand die Frage nach den Schlüsselkompetenzen von Sozialinnovator:innen und wie Soziale Innovationen die Kompetenzentwicklung in ganz Europa vorantreiben können. Dabei wurden in den Keynotes und Podiumsdiskussionen vielfältige Herausforderungen für Soziale Innovationen in Europa formuliert. Hierzu gehört unter anderem, dass Kompetenzen, die für Soziale Innovationen notwendig sind, verbreitet und gefördert werden müssen. Auch regulative Lücken zu schließen steht im Aufgabenheft vieler Mitgliedsstaaten, da vielerorts beispielsweise ein Mangel an geeigneten Rechtsformen für sozialinnovative Organisationen besteht. Außerdem braucht es einen intensiveren internationalen Austausch, um ein gemeinsames Verständnis Sozialer Innovationen und ihrer Bedeutung in allen gesellschaftlichen Bereichen in Europa zu etablieren und zu verbreiten.
In mehreren Workshops wurden Fragen rund um die Umsetzung von ESF-Projekten und der Vergabe von ESF-Mitteln für Soziale Innovationen in den Mitgliedsstaaten vertieft. In Hinblick auf die Förderung Sozialer Innovationen durch die Verwaltungsbehörden in den Mitgliedsstaaten stand beispielsweise die Frage nach der Vermeidung von Interessenskonflikten im Raum. Diskutiert wurde, wie sie beim Einbezug von Stakeholdern in eine bedarfsgerechte Förderprogrammgestaltung vermieden werden können, die hinterher Zuwendungsempfänger sein können sollten.
In einem Workshop zur Wirkungsmessung lag der Fokus auf methodischen und ethischen Herausforderungen bei der Umsetzung eines Counterfactual Impact Assessment. Ein Ansatz, der die Arbeit mit Vergleichsgruppen zur Feststellung der tatsächlichen Wirkung von Maßnahmen auf die Begünstigten umfasst. Im Workshop wurden verschiedene praxisrelevante Themen diskutiert, wie die Gewährleistung von Datenqualität oder Datenschutz bei dessen Anwendung.
Im Fokus der Aktivitäten des Europäischen Kompetenzzentrums steht auch der Aufbau von „Social Innovation Match“, einer Datenbank sozialinnovativer Initiativen in Europa. Der neue Validierungsprozess für die Aufnahme von Beispielen stand in einem der Workshops auf dem Programm und wurde durch Mark Majewsky Anderson (Cascade Foundation) präsentiert, der seit Langem zu Sozialen Innovationen und Hochschuleinrichtungen forscht. Hier geht es zur SIM-Datenbank:
https://european-social-fund-plus.ec.europa.eu/en/social-innovation-match
Neben den Workshops und Panels bot das Social Innovation Forum auch zahlreiche Gelegenheiten für informellen Austausch zwischen den Konferenzteilnehmenden aus öffentlicher Verwaltung, europäischer Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Es zeigte sich in vielen Gesprächen, dass das Bewusstsein für die Bedeutung Sozialer Innovationen in einer durch viele globale Krisen bestimmten Zeit weit verbreitet ist. Es wurde aber auch deutlich, dass weiterhin daran gearbeitet werden muss, erfolgreiche Soziale Innovationen sichtbar zu machen. Außerdem bedarf es eines besseren Verständnisses ihrer Rahmenbedingungen sowie ihrer Wirkungsmessung, um ihren Erfolg zu belegen.
Soziale Innovationen bei den EU-Strategietagen der Hochschulrektorenkonferenz für Deutsche Universitätsleitungen und internationale Gäste
Als Zusammenschluss von 271 Einrichtungen ist die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) die wohl stärkste Stimme der deutschen Hochschulen und auch sie erkennt die Bedeutung Europäischer Programme für Forschung, Innovation und die Zusammenarbeit von Hochschulen an. Im Oktober widmete sie sich diesem Themenfeld daher mit einer zweitägigen Veranstaltung in Brüssel. Auch Soziale Innovationen standen im Rahmen der Veranstaltung im Fokus. So betonte Staatssekretär Roland Philippi (BMBF) im Rahmen einer hochrangigen Podiumsdiskussion mit Vertreter:innen aus Politik und Wissenschaft die Bedeutung Sozialer Innovation für das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Ein anschließender Workshop nahm in den Blick, wie Soziale Innovationen durch EU-Fördermittel zukünftig bestmöglich unterstützt werden können. Moderiert wurde der Workshop von Dorit Schumann (HRK-Vizepräsidentin für Innovation und Nachhaltigkeit; Präsidentin der FH Trier). Impulse für die Diskussion gaben Jürgen Howaldt (Direktor Sozialforschungsstelle Dortmund, TU Dortmund) und Vera Winthagen (Referatsleiterin mdWdGb, „Fair and Sustainable Economy“, Gemeinsame Forschungsstelle, Europäische Kommission). Jürgen Howaldt zeichnete die zentrale Rolle Sozialer Innovationen in der Europäischen Förderung nach und betonte, dass Soziale Innovationen ein wichtiger Baustein sein können, um die Missionen des Horizont-Programms voranzutreiben. Abschließend stellte er die SIGU-Plattform als zentrale Anlaufstelle für wissenschaftliche Einrichtungen in Deutschland heraus, die sich mit Sozialen Innovationen und Gemeinwohlorientierten Unternehmen beschäftigen. Vera Winthagen schloss an mit Perspektiven auf die Verbindung zwischen dem Neuen Europäischen Bauhaus und Sozialen Innovationen. Es folgten offene Diskussionen, die durch viel Einigkeit darüber bestimmt waren, welche zentrale Bedeutung Soziale Innovationen für die Gestaltung der zukünftigen Entwicklung Europas haben.
Im Rahmen der Präsentationen und Diskussionen standen mehrere erst kürzlich veröffentlichte Berichte im Vordergrund. Dazu gehören der Bericht von Mario Draghi zu einer Wettbewerbsstrategie für Europa, der im September 2024 veröffentlich wurde, sowie der unabhängige Expert:innen-Bericht „Align, Act, Accelerate“ der Generaldirektion Forschung und Innovation aus dem Oktober.
Der Bericht von Mario Draghi: „The Future of European Competitiveness – A competitiveness strategy for Europe “, kann direkt bei der EU-Kommission abgerufen werden (Englisch): https://commission.europa.eu/topics/strengthening-european-competitiveness/eu-competitiveness-looking-ahead_en