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Interview mit dem Team Digitalisierung und Nachhaltigkeit vom Deutschen Roten Kreuz

6. Oktober 2025

Wir haben mit Anna-Katharina Reinheimer und Jana Bielick vom Team Digitalisierung und Nachhaltigkeit vom DRK Generalsekretariat im Bereich Jugend und Wohlfahrtspflege gesprochen. Im Interview geht es um Soziale Innovation in der Wohlfahrt, aktuelle Herausforderungen und konkrete  Maßnahmen, um Hindernisse besser überwinden zu können.

 

Was bedeutet Soziale Innovation für das Deutsche Rote Kreuz (DRK)?

Als DRK ist es unsere Aufgabe, Menschen in Krisen und schwierigen Lebenslagen zu unterstützen. Für uns bedeutet Soziale Innovation daher, gesellschaftliche Herausforderungen frühzeitig zu erkennen und alles, was uns zur Verfügung steht an neuen Ansätzen und Technologien aber auch Bewährtem zu mobilisieren, um dafür gute Lösungen zu finden. Es ist wichtig, dass wir unsere Angebote kontinuierlich weiterentwickeln und an die sich wandelnden Bedarfe der Menschen anpassen. Es ist von besonders hoher Bedeutung, den Zugang zu diesen Angeboten niedrigschwellig und inklusiv zu gestalten. Soziale Innovation verstehen wir nicht als Selbstzweck, sondern als notwendigen Bestandteil einer zukunftsfähigen Wohlfahrt, die Lebensqualität verbessert und gesellschaftliche Teilhabe stärkt. Ausführlicher beschreiben wir unsere Position hier, in einem „DRK-Brennpunkt“.

Welches Transformationspotenzial seht ihr beim DRK und in der Wohlfahrt allgemein?

Die Freie Wohlfahrtspflege bildet in Deutschland mit rund 2 Millionen Mitarbeitenden und 3 Millionen Ehrenamtlichen das soziale und gesundheitliche Rückgrat unserer Gesellschaft. Sie fängt Menschen in Bedarfslagen auf und gestaltet jeden Tag gesellschaftliches Zusammenleben. Entsprechend groß ist ihr Potenzial Gesellschaft zu transformieren.

Nach innen setzen wir auf Digitalisierung, moderne Organisationsentwicklung und gezieltes Innovationsmanagement, um unsere Arbeit wirksamer zu gestalten. Wenn Fachkräfte durch digitalisierte Prozesse zum Beispiel weniger Zeit für Dokumentation aufwenden müssen, bleibt mehr Zeit für den Menschen. Eine bessere Vernetzung innerhalb unserer föderalen Struktur führt dazu, dass innovative Ideen und Methoden, die sich bewähren, schneller auch von anderen Gliederungen aufgegriffen und umgesetzt werden. Der organisatorische Wandel vollzieht sich dadurch erheblich schneller und effektiver als früher.

Nach außen nutzen und entwickeln wir Versorgungsangebote, die zum Beispiel bestehende Leistungen auf neue Arten verschränken oder digitale Produkte wie die Beratungs-App „RealTal“ für Jugendliche. Außerdem haben wir natürlich verbandsintern ständige Berührung mit großen Zukunftsthemen wie Klimaanpassung, Hitzeschutz und Katastrophenvorsorge und den Auswirkungen, die das auf die Zielgruppen unserer Angebote hat. Unsere Doppelrolle als Wohlfahrtsverband und Nationale Hilfsgesellschaft ist hier ein echter Vorteil.

Wie fördert ihr aktiv Innovatoren und Innovationen im DRK?

Auf der Bundesebene fokussieren wir besonders die Aspekte Sichtbarkeit, Vernetzung und Wissenstransfer. Wir vergeben seit einigen Jahren den DRK-Innovationspreis an Projekte, die für Herausforderungen in ihrem Bereich besonders innovative Lösungen gefunden haben und von denen andere im Verband lernen und Dinge übernehmen können. In dem Zuge des Bewerbungsprozesses werden viele tolle Projekte und Ideen sichtbar, die die für eine Vielzahl von Themen inspirierende best-practices sind und die dann auf Veranstaltungen und über Netzwerke ihr Wissen und ihre Erfahrungen weitergeben. Die [sic] = DRK-Social Innovation Community nimmt dabei als digitales Netzwerk mit über 600 Haupt- Ehrenamtlichen Mitgliedern eine zentrale Rolle ein.
Während auf Ebene der Landesverbände verstärkt auf Kompetenzentwicklung und Innovationsentwicklung geschaut wird, gehen wir mit unserem neusten Projekt „DRK-Solutions“ die Skalierbarkeit von Projekten im Verband konkret an und bauen aktuell ein Angebot aus methodischer und konzeptioneller Begleitung für den Transfer erprobter Lösungen über Gliederungsgrenzen hinweg. Für Organisationen, die aus so vielen verschiedenen Einheiten bestehen, eine echte Herausforderung.

© Willing-Holtz / DRK

Wie findet bei euch Wissenstransfer intern und extern statt?

Innerhalb des Verbandes fördern wir systematisch den fachlichen und methodischen Austausch – insbesondere zu Innovation, Wirkung und Skalierung: In allen Fachbereichen (wie Pflege, Gesundheit, Migration, Kitas, Jugend- und Schulsozialarbeit) gibt es etablierte Netzwerke und regelmäßige Austauschformate – sowohl innerhalb des DRK als auch mit externen Partner:innen. Spezifische Communities of Practice (zum Beispiel im Rahmen der Social Innovation Community) ermöglichen themenbezogene Zusammenarbeit. Außerdem organisieren wir Veranstaltungen und nutzen verschiedene Kommunikationskanäle wie Newsletter, Projektplattformen, Webinare und Podcasts, um bereichsübergreifenden Wissenstransfer zu fördern.

Extern sind wir in zahlreichen nationalen und internationalen Netzwerken aktiv, etwa innerhalb der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW), in Fachgremien, politischen Diskursformaten oder bei zivilgesellschaftlichen Allianzen. Auch der Austausch mit Wissenschaft, Politik und Verwaltung ist fester Bestandteil unseres Innovationsverständnisses. Außerdem haben wir das Glück als Deutsches Rotes Kreuz Teil der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung weltweit zu sein, was bedeutet, wir haben Schwesterorganisationen weltweit, mit denen wir uns austauschen. Wir stehen hier in regelmäßigem Austausch unter anderem mit dem französischen und schwedischen Roten Kreuz.

Was ist die Social Innovation Community [sic] des DRK?

Ursprünglich hatten wir geplant, ein Handbuch für Soziale Innovation im Verband zu erstellen, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Aber im Prozess wurde deutlich, dass Soziale Innovation Austausch braucht. So entstand die Social Innovation Community [sic] – ein dynamisches Netzwerk engagierter Haupt- und Ehrenamtlicher des DRK, das sich für neue Ansätze und Arbeitsweisen im Verband einsetzt. Wir setzen uns viel mit der bestehenden Arbeitskultur auseinander und testen in dem Bereich neue Dinge – die [sic] ist so zu einem wichtigen Motor für kulturellen Wandel im Verband geworden.

Mit welchen Methoden arbeitet ihr in der [sic], um innovative Prozesse zu gestalten?

Die [sic] verfolgt einen koproduktiven, partizipativen Ansatz: Die Mitglieder bringen ihre Themen, Perspektiven und Ressourcen ein. Alle Entscheidungen werden im Plenum getroffen, das allen Mitgliedern offensteht. Die Community gestaltet sich selbst. Zum Jahresbeginn haben wir erstmals gemeinsam ein Fokusthema gewählt, Formate und weitere Themen entstehen je nach Bedarf. Wenn wir Ideen für Projekte haben, bilden sich dazu Arbeitsgruppen, die sich danach wieder auflösen. Für unseren Austausch nutzen wir hauptsächlich digitale Formate, arbeiten gemeinsam an digitalen Boards und nutzen Teams als Kommunikationsplattform, um Neuigkeiten austauschen und unsere Zusammenarbeit zu koordinieren. Das ist aber alles auch in stetigem Wandel. Unser Jahresthema ist übrigens „Wo wir scheitern wachsen wir – Experimente wagen“ – das heißt, wir haben dieses Jahr besonders viel ausprobiert.

[sic] Fehl-Bar-Camp 2025

Das Bar-Camp des DRK am 20.11. widmet sich dem Thema “Fehler”. Ein Versuch darüber ins Gespräch zu kommen, was ungern erzählt wird – ganz nach dem [sic] Jahresmotto “Lernendes DRK: Wo wir scheitern, wachsen wir – Experimente wagen!” 

Vor welchen Herausforderungen steht die Wohlfahrt allgemein?

Auch die Freie Wohlfahrtspflege steht vor der Herausforderung in einem immer schneller und komplexer werdenden Feld zu agieren und dabei mit den großen Themen Fachkräftemangel, Finanzierungsdruck und neuen Bedarfen der Zielgruppen umzugehen. Personalmangel trifft die Wohlfahrt besonders, weil unsere Arbeit personalintensiv ist und wir finanziell aber enger kalkulieren müssen als privatwirtschaftliche Anbieter. Der Finanzierungsdruck steigt durch Inflation bei gleichzeitig schrumpfenden öffentlichen Mitteln. Ein Trend, den wir auch international beobachten können und der mit dem generellen Abbau des Sozialstaats und einem wachsenden Druck auf Individuen einhergeht. Wir stellen immer wieder fest, dass die sozialrechtlichen Leistungsansprüche so fragmentiert sind, dass sie den realen, komplexen Lebenslagen der Menschen nicht gerecht werden – ein Umstand, der die Umsetzung innovativer, ganzheitlich gedachter Lösungen oft deutlich erschwert.

Als Gegenentwurf für das fragmentierte Leistungsangebot setzen wir auf neue Versorgungsnetzwerke, zum Beispiel durch Community Health Nursing, Gesundheitskioske oder nachbarschaftsbasierte Unterstützungsmodelle. Um dem Abbau unseres Sozialstaates entgegenzuwirken, nehmen wir unsere sozialanwaltliche Rolle als Bundesverband wahr und vertreten die Interessen unserer Zielgruppen politisch auf Bundesebene.

Wir setzen uns dafür ein, dass soziale und gesundheitliche Angebote allen Menschen in Deutschland in angemessener Qualität und Umfang zugänglich bleiben. Dafür müssen wir die Gemeinnützigkeit in Deutschland stärken. Denn soziale Dienste, die durch Gemeinnützigkeit geprägt sind, orientieren sich zuerst an den Bedarfen der Bürger:innen und nicht an Profitinteressen. Das Thema Arbeitskräftesicherung und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im sozialen und gesundheitlichen Bereich zählen aktuell zu den zentralen politischen Themen. Als Verband haben wir uns hier einen strategischen Fokus gesetzt, um auf die Stärkung und Bindung aller Beschäftigten hinzuwirken. Dazu gehört innovative Personalkonzepte zu entwickeln, Aus- und Weiterbildung zu stärken und neue Berufsrollen zu fördern.

Welche Hemmfaktoren seht ihr in der Wohlfahrt, um Soziale Innovationen voranzutreiben?

Die Herausforderung in einem föderal und dezentral organisierten Verband wie dem DRK Wissen zu teilen und Ansätze sichtbar zu machen, haben wir ja oben schon erwähnt.

Die größte Hürde ist jedoch die begrenzte personelle und zeitliche Kapazität, insbesondere im Alltag der Einrichtungen. Hinzu kommt eine Finanzierungslogik, die entweder ausschließlich die aktuell bestehende Art Probleme zu lösen, also den Status quo, finanziert (Entgeltfinanzierung) oder neue Ansätze nur für einen sehr kurzen Zeitraum unterstützt (Projektfinanzierung). Nachhaltige Innovation benötigt aber Strukturen, die langfristige Perspektiven schaffen, mit stabilen Teams und gleichzeitig Raum für stetige Weiterentwicklung.

Die Projektlogik führt dazu, dass Innovationen, wenn überhaupt, nur getestet, aber weder in den Regelbetrieb überführt noch in die Breite getragen (skaliert) werden können. Das Wirkpotenzial vieler innovativer Projekte verpufft damit, denn die Projektmitarbeitenden können mangels Folgefinanzierung das Projekt in der Regel nicht weiter begleiten. Welcher massive Verlust an Know-How und Erfahrung damit einhergeht, sei hier nur kurz erwähnt. In der Entgeltfinanzierung ist wiederum nur Platz für eine Leistungserbringung im Rahmen von sehr eng definierten gesetzlichen Vorgaben und es besteht die Gefahr in sehr starren „Produktionsprozessen“ sozialer Hilfen zu landen.

Welche politischen Maßnahmen könnten helfen, diese Hemmnisse abzubauen?

Politik könnte Soziale Innovation vor allem dadurch unterstützen, dass sie langfristige Strukturen schafft. Es braucht Förderinstrumente, die nicht nur kurzfristige Projekte finanzieren, sondern den Transfer in den Alltag ermöglichen. Hilfreich wären auch klare Anreize für Einrichtungen, erfolgreiche Ansätze weiterzuentwickeln und zu verbreiten. Dort liegen schließlich die Ideen und das Wissen dazu, wie Angebote bedarfsgerecht weiterentwickelt werden können und welche neuen Lösungen es braucht.

Was uns fehlt sind (finanzielle) Freiräume zum Ausprobieren – etwa über Reallabore oder Innovationsfonds, die nicht an enge Vorgaben gebunden sind. Wir brauchen Orte für Austausch und Wissenstransfer. Wenn Politik solche Plattformen unterstützt und uns als gemeinnützigem Träger vertraut, können Ideen nicht nur entstehen, sondern auch nachhaltig wirken.

Eine Reform der Bürokratie und der völlig überzogenen Verwaltungsprozesse, die mit Projekten aus Bundesmitteln verbunden sind, wäre ein ganz konkreter Schritt und könnte sofort Ressourcen freisetzen. Aber das ist ein Thema für sich…

Das Interview führte Constanze Heber im Sommer 2025.