Was sind Ökosysteme Sozialer Innovation?
An der Entstehung, Förderung, Verbreitung und Verstetigung von Sozialen Innovationen sind eine Vielzahl von Akteur:innen beteiligt. Erfolgsrelevant sind darüber hinaus Faktoren wie förderliche Infrastrukturen, räumliche, ökonomische und personelle Ressourcen, eine passende Gesetzgebung und Geschäftsmodelle oder ein Klima der Kooperation. Um das Zusammenspiel solcher Faktoren besser analysieren und visualisieren zu können, hat sich in der SI-Forschung in den letzten Jahren der Begriff des Ökosystems etabliert. Ähnlich wie der Ökosystembegriff der Naturwissenschaften betont der Ökosystemansatz in den Innovationswissenschaften, dass eine Vielzahl kleiner, vermeintlich unscheinbarer Elemente auf eine bestimme Art und Weise miteinander interagieren müssen, um eine Innovation hervorzubringen. Durch diesen Fokus impliziert der Ökosystemansatz eine gewisse Offenheit in Bezug auf die Auswahl der zu analysierenden Elemente, Räume und Interaktionen zwischen verschiedenen sozialen Ökosystemen. Auch der Ausgangspunkt der Analyse kann variieren: Während zunächst vor allem retrospektiv erforscht wurde, welche Faktoren die Durchsetzung einer Sozialen Innovation ermöglicht haben, gibt es zunehmend auch Studien, die die potentielle Förderung von Sozialen Innovationen aufschlüsseln (siehe zum Beispiel die Vorstellung des deutschen SI-Ökosystems im Spotlight September 2023).
„Concepts of social innovation ecosystems
help to overcome actor-centred approaches
and the focus on the social innovator as the
key agent of change.“
(Domanski et al. 2023)
Expert:innenbeiträge: Videos und Speaker:innen
Um das Thema der Ökosysteme Sozialer Innovation als analytische Perspektive und in der praktischen Förderung genauer zu beleuchten, wurden zwei Expert:innen aus der deutschen und internationalen wissenschaftlichen Community eingeladen, ihre Arbeit in Forschung und Praxis zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen. Zunächst gab PD Dr. Christoph Kaletka (TU Dortmund) einen Einblick in das Ökosystem-Konzept Sozialer Innovation, grenzte dieses vom Akteurs- und Institutionenbezogenen Ansatz der Innovationssysteme ab und stellte schließlich eine Forschungsheuristik vor, die er selbst mitentwickelt hat. Anschließend präsentierte Prof. Carolina Andion (Universidade do Estado de Santa Catarina, Brasilien) das Social Innovation Observatory (deutsche Übersetzung: Observatorium Sozialer Innovation) der brasilianischen Stadt Florianópolis, dessen Direktorin sie zugleich ist. Dort werden Soziale Innovationen in der Region erfasst, die zum Teil wissenschaftlich in Langzeitstudien begleitet werden.
Diskussion: Den Ökosystem-Ansatz anwenden und von Florianópolis lernen
Nach den beiden Vorträgen hatten die Teilnehmenden die Chance, die konzeptionellen Besonderheiten und Entwicklungspotenziale des Ökosystem-Ansatzes mit Christoph Kaletka zu diskutieren oder in den vertieften den Austausch über die Erfahrungen aus dem Social Innovation Observatory mit Carolina Andion zu gehen.
Die Teilnehmenden der ersten Diskussionsgruppe sammelten zunächst weitere Ansätze, die sie in ihrer Arbeit bislang kennlernen und nutzen konnten. Es wurden sowohl Erfahrungen aus der Arbeit mit Ökosystemansätzen benannt, wie auch aus der Arbeit mit Ansätzen zur Untersuchung von Kontexten als Innovationssystemen berichtet. Zur anschließenden Frage nach Spezifika des Ökosystemansatzes wurde bemerkt, dass er sich besonders eigne, um Initiativen vor dem Hintergrund von Forschungsergebnissen gezielt zu unterstützen. Ansätze zur Untersuchung von Kontexten als Innovationssysteme würden sich dagegen eher eignen, wenn die systemische Perspektive auf die Genese von Innovationen im Vordergrund stünde. Den Abschluss machte die Frage nach der weiteren Arbeit mit Ökosystemansätzen im Rahmen des Netzwerks Wissenschaft. Hier wurde ein Interesse an der Auseinandersetzung mit konkreten Innovationsorten wie zum Beispiel Hochschulen benannt. Auch wurde Interesse an Netzwerkanalysen geäußert. Hier könnten vor allem Netzwerke von Interesse sein, die über administrative Grenzen hinaus bestünden. Oft würden Ökosystemanalysen schließlich an kommunalen, föderalen oder nationalstaatlichen Grenzen enden, obwohl weder Soziale Innovation im Prozess ihrer Verbreitung noch förderliche Rahmenbedingungen auf solche administrativen oder territorialen Einheiten begrenzt sein müssten. Viel mehr könne auch von Interesse sein unterschiedliche Logiken in den Blick zu nehmen, wie innerhalb eines gesellschaftlichen Sektors wie der Wohlfahrt und darin wiederum in Hinblick auf unterschiedliche Ebenen, wie innerhalb einer Organisation oder über Landesverbände hinweg.
Der Austausch in der zweiten Diskussionsgruppe drehte sich insbesondere um die Frage, was die SIGU-Plattform von dem Social Innovation Observatory in Florianópolis lernen könnte und welche Elemente möglicherweise für diese adaptiert werden könnten. Dabei stellten die Teilnehmenden bald fest, dass sowohl die lokale Fokussierung des Observatoriums als auch seine langfristige Perspektive Voraussetzung dafür sind, das Vertrauen verschiedener Akteure zu gewinnen und deren Engagement – auch im eigenen Interesse – auf der Plattform zu fördern. Die Teilnehmenden zeigten sich beeindruckt angesichts der vielen Initiativen, die ihre Sozialen Innovationen und Aktivitäten auf dem Social Innovation Observatory dokumentieren. Auch überzeugte die Möglichkeit der Anbahnung von Kooperationen mit anderen Akteuren durch die Sichtbarkeit auf der Plattform des Observatory. Durch diese von den Initiativen selbst zur Verfügung gestellten Dokumentation können Forscher:innen der lokalen Hochschulen Langzeitstudien anfertigen, die wiederum Erkenntnisse über Diffusions- und Wirkungsketten vertiefen können. Damit ist das Social Innovation Observatory selbst zum digitalen Ökosystem Sozialer Innovation gewachsen.
Anregungen für den nächsten Hot Topic Workshop
Die SIGU-Plattform veranstaltet halbjährlich Hot-Topic-Workshops zu aktuellen Schwerpunktthemen aus der internationalen Forschung zu Sozialen Innovationen, womit der Austausch von Wissen zwischen Vertreter:innen von Hochschulen und nicht-akademischen Akteur:innen des Ökosystems Sozialer Innovation vertieft und um Impulssetzungen aus dem Netzwerk ergänzt werden soll. Wer auf kurzem Wege eigene Impulse, Fragen und Anregungen für die weitere Entwicklung des Netzwerks beitragen möchte, muss nicht auf die nächsten Veranstaltungen warten, sondern kann dies auch unter folgendem Link tun:
https://app.wooclap.com/CYSIZD/questionnaires/663a0b825260250bf1244b9b
(Die Umfrage ist englischsprachig, um auch den internationalen Teilnehmer:innen des Workshops eine Mitwirkung zu ermöglichen)