Dieses und das folgende Spotlight Wissenschaft widmen sich der Wirkungsmessung und der Messung von Sozialen Innovationen. Diese Beiträge im Januar und Februar 2024 greifen damit einen Themenbereich auf, der aktuell viel Aufmerksamkeit in Forschung, Praxis und Politik erfährt.
Sozialinnovator:innen haben in ihrem Wirken den Anspruch, ihren Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung und Lösung der drängenden Probleme unserer Zeit zu leisten. Dabei stellt sich schnell die Frage, wie Soziale Innovationen in ihrer Dynamik und Wirkung erfasst werden können. Die Interessen an dementsprechender Analyse, an Monitoring, Bewertung und Messung von Sozialen Innovationen sind vielfältig: Sozialinnovator:innen, Fördergeber:innen und Investor:innen wollen wissen, ob die Maßnahmen zur Problemlösung greifen, wie gegebenenfalls nachgesteuert werden muss und ob die Ressourcen effektiv und effizient eingesetzt werden. Die Diffusion, also der Verbreitungsprozess, von Sozialen Innovationen wie auch und die Bewertung und Messung ihrer Wirkung unterscheiden sich erheblich von technologischen Innovationen. Die Forschung hierzu befindet sich noch weitgehend am Anfang, jedoch hat sie beachtlich an Fahrt gewonnen.
Vor diesem Hintergrund werden zwei aufeinanderfolgende Spotlights Wissenschaft die Orientierung im lebhaft geführten Diskurs unterstützen. Die Ausgabe im Januar 2024 gibt einen Überblick über ausgewählte wichtige Publikationen der letzten Jahre. Daran anschließend wird das Spotlight Wissenschaft im Februar 2024 Wortmeldungen aus der aktuellen wissenschaftlichen Bearbeitung des Themas präsentieren und exemplarisch aktuelle Forschungsprojekte vorstellen.
“Social Innovation Measurement” und “Social Impact Measurement”
Obwohl die Messung Sozialer Innovation und die Wirkungsmessung – oder die Messung von Social Impact – eine gewisse Nähe zueinander haben, lässt sich doch zwischen beiden unterscheiden.
Anhand der beiden Aufsätze „Social Impact Measurement“ und „Social Innovation Measurement“ wird dieser Unterschied deutlich. Die Autor:innen des Artikels „Social Impact Measurement“ bringen die Unterscheidung auf den Punkt. Sie heben hervor, dass die Messung von Sozialen Innovation als Untersuchung von Prozessen Sozialer Innovation zu verstehen sei, während die Wirkungsmessung auf die Untersuchung der beabsichtigten wie auch nicht nichtbeabsichtigten Folgen Sozialer Innovationen bezogen sei.
Der Aufsatz „Social Impact Measurement“ gibt vor diesem Hintergrund einen kurzen Rückblick auf die Geschichte der Messung von Sozialen Innovation und stellt anschließend das IOOI-Schema (Inputs, Outputs, Outcomes und Impact) als zentralen Ansatz vor. Es folgen die Konturen einer Typologie unterschiedlicher Ansätze zur Wirkungsmessung von Sozialen Innovation nach Nicholls, von Jacobi, Chiappero-Martinetti und Mildenberger. Den Abschluss des Aufsatzes bilden konkrete Hinweise zur geeigneten Ausgestaltung von Wirkungsmessungen sowie zur zukünftigen Entwicklung der Wirkungsmessung.
Der Aufsatz „Social Innovation Measurement“ konzentriert sich zunächst auf die Eingrenzung des Gegenstandes. Die Autor:innen weisen darauf hin, dass die bisherige Arbeit zur Messung Sozialer Innovation durch einzelne Publikationen aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen charakterisiert und entsprechend fragmentiert sei. Auf Basis eines Literatur-Reviews folgen dann eine Unterscheidung von Mess-Ebenen (beispielsweise das nationale Makro-Level oder das regionale Meso-Level) und von Analyseobjekten (beispielweise Rahmenbedingungen, Sozialunternehmen oder Nationen). Wer an der Messung von Sozialen Innovation auf nationaler oder regionaler Ebene interessiert ist, findet hier nützliche Einordnungen. Es schließen die kurze Vorstellung eines Rahmenmodells aus dem Projekt Indikatorik Soziale Innovation (IndiSI, siehe auch die Publikation „Codebuch Indikatorik Soziale Innovation (IndiSI) – Zur Messung sozialer Innovationen“, weiter unten) und ein Ausblick auf die Zukunft an. In diesem Ausblick verweisen die Autor:innen auf die Eignung und Anwendungsmöglichkeiten bisher im Rahmen des IndiSI Projekts entwickelter Indikatoren sowie auf deren möglichen Einsatz in bestehenden oder neu zugeschnittenen Surveys.
Krlev, G., Mildenberger, G., & Then, V. (2023). Social Impact Measurement. In: Howaldt, J. & Kaletka, C. (Hrsg.): Encyclopedia of Social Innovation. Edward Elgar Publishing: Cheltenham, UK, S. 433-437.
Terstriep, J, Krlev, G., Mildenberger, G., Strambach, S., Thurmann, J.-F., & Wloka, L.-F. (2023). Social Innovation Measurement. In: Howaldt, J. & Kaletka, C. (Hrsg.): Encyclopedia of Social Innovation. Edward Elgar Publishing: Cheltenham, UK, S. 438-447.
“Social Impact Measurement: Current Approaches and Future Directions for Social Entrepreneurship Research”
Soziale Innovationen können das Ergebnis sozialunternehmerischen Handelns sein und so bezieht sich auch die Wirkungsmessung in diesem Bereich auf diesen Zusammenhang. Basierend auf einem Literatur-Review, das 71 Artikel umfasst, systematisieren die Autor:innen die identifizierten Arbeiten aus mehreren wissenschaftlichen Disziplinen und leiten zwei Dimensionen ab, anhand derer sich vier Zugänge zur Konzeptualisierung von Social Impact identifizieren lassen:
Die erste Dimension bezieht sich auf die Entstehung von Social Impact und unterscheidet zwischen (1) Aktivität („activity“) und (2) Outcome.
Die zweite Dimension zielt auf die Verallgemeinerbarkeit der Anwendung von Messansätzen und damit auf deren Anwendbarkeit in mehreren Sektoren. Hier unterscheiden die Autor:innen zwischen (3) multisektoralen Ansätzen („multisector approach“) und Ansätzen, die (4) sektorenspezifisch sind („single sector“).
Multisektorale Ansätze sind demnach durch die Annahme eines verallgemeinerbaren Konstrukts von Social Impact gekennzeichnet: es wird dann davon ausgegangen, dass Messansätze ohne Weiteres übertragbar in andere Sektoren oder Zusammenhänge sind – also beispielsweise auf For-Profit und Non-Profit Sektoren gleichermaßen. Auf dieser Basis könne dann sektorenunabhängig untersucht werden. Ein solcher Ansatz beinhalte die Messung von Aktivitäten oder Outcomes, die so allgemein sind, dass sie in mehreren Sektoren aufzufinden seien. Demgegenüber stünden die Ansätze, die auf einen einzelnen Sektor zielten und sich entsprechend auf Aktivitäten bezögen, die spezifisch für diesen Sektor seien. Entsprechend ergebe sich daraus kein verallgemeinerter Ansatz. Im Sample, das dem Literatur-Review zu Grunde liegt, dominieren laut den Autor:innen die multisektoralen Zugänge zur Untersuchung von Social Impact, sowohl in Hinblick auf die Aktivitäten als auch auf die Outcomes. Sie schließen den Aufsatz mit einer kritischen Diskussion ab, die sich unter anderem mit der Eignung von Ansätzen, deren Gestaltung und Bedarfen befasst.
Rawhouser, H., Cummings, M., & Newbert, S. L. (2019). Social Impact Measurement: Current Approaches and Future Directions for Social Entrepreneurship Research. Entrepreneurship Theory and Practice, 43(1), 82–115. https://doi.org/10.1177/1042258717727718
„Codebuch Indikatorik Soziale Innovation (IndiSI) – Zur Messung sozialer Innovationen.“
Codebuch Indikatorik Soziale Innovation (IndiSI), 2021 (Westfälische Hochschule Gelsenkirchen, https://www.si-metrics.eu/media/d5.3_indisi_codebuch.pdf)
Hintergrund der Publikation ist das Projekt „Indikatorik Soziale Innovation” (IndiSI), das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung bis 2021 und bis März 2023 als IndiSI+ mit einem Folgeprojekt gefördert wurde. Beide Vorhaben stellen Pionierarbeiten im Feld der Wirkungsmessung von Sozialer Innovation dar.
Mit ihrem Codebuch bieten die Autor:innen einen Überblick über ein Rahmenmodell zur Messung von Sozialer Innovation. Das Rahmenmodell wurde im Kontext des Projekts entwickelt. Es nimmt nicht nur die langfristige Wirkung von Sozialen Innovationen im Sinne von Impact (also der gesellschaftlichen Wirkung) in den Blick, sondern verfolgt einen breiteren Ansatz.
Vor dem Hintergrund der Beobachtung bisheriger Lücken in Hinblick auf geeignete Messinstrumente wird so ein ganzheitliches Messmodell präsentiert, das nicht nur auf die Besonderheiten von Sozialen Innovationen Rücksicht nimmt. Viel mehr zielt der Ansatz darauf, auch der Vielfalt Sozialer Innovationen Rechnung zu tragen. Das Rahmenmodell umfasst daher unterschiedliche Messansätze für unterschiedliche Gegenstände. Konkret wurden Indikatoren für folgende Dimensionen entwickelt und erprobt:
- Messung organisationaler Innovativität, also die Perspektive auf den Umgang von Organisationen mit Sozialen Innovationen;
- regionale Innovationskapazität im Sinne der Verankerung in der Bevölkerung;
- Resonanzanalyse auf der Ebene der Früh-Indikatorik in Hinblick auf Bewusstsein, Legitimität und Ressourcen.
Die Publikation stellt neben dem Rahmenmodell auch umfassende Indikatoren-Sammlungen zu diesen drei Kategorien vor. Die Sammlungen erstrecken sich über mehrere Dimensionen. Sie ermöglichen sowohl Primär- als auch Sekundäranalysen. Beispiele solcher Indikatoren sind:
- der Beitrag zu Nachhaltigkeitszielen (Indikator aus der Kategorie „Organisationale Innovativität“),
- die Verantwortung von Staat und Unternehmen im Bereich öffentlicher Dienstleistungen (Indikator aus der Kategorie „Regionale Innovationkapazitäten“), oder
- die thematische Spezialisierung eines Clusters von Nutzer:innen als Teil von quantitativen Diskursanalysen (Indikator aus der Kategorie „Resonanzanalyse“). Hier werden Erkenntnisse zur Aufmerksamkeit für ein Thema gewonnen. Basis für die Einordnung des Maßes an Aufmerksamkeit sind die relativen Anteile und deren Bedeutung, zum Beispiel als Nischenthema.
Das Codebuch beschreibt die Hintergründe zu den Indikatoren und gibt Hinweise für die Anwendung in Form zweier Szenarien:
- Integration in bestehende Erhebungen und
- eigenständige Erhebungen.
Zugleich verweist der Artikel darauf, dass es weiterer Validierungen der Indikatoren durch Erhebungen in anderen Regionen bedürfe. Die Publikation stellt mit ihrer Veröffentlichung im Jahr 2021 einen Zwischenschritt dar, der einen umfassenden Überblick über den Ansatz von IndiSI und IndiSI+ gibt. Weiterentwicklungen der einzelnen Stränge und weitere Informationen finden sich auf der Website des Projekts, hier.
Krlev, G., Mildenberger, G., Strambach, S., Terstriep, J., Thurmann, J. & Wloka, L. (2021). Codebuch Indikatorik Soziale Innovation (IndiSI) – Zur Messung sozialer Innovationen. Gelsenkirchen: Westfälische Hochschule Gelsenkirchen, Institut Arbeit und Technik. https://www.si-metrics.eu/media/d5.3_indisi_codebuch.pdf
„Konturen einer Folgenabschätzung sozialer Innovationen“
Die in den Themenbereichen Sozialer Innovationen und der Technologiefolgenabschätzung aktiven Autoren beschreiben im Rahmen eines Sammelbandbeitrags die Konturen einer Folgenabschätzung und der Bewertung von Sozialen Innovationen. Sie vertreten die These, dass die Besonderheiten der Diffusion Sozialer Innovationen und die mit ihnen verknüpften Strukturbildungsprozesse eine Vorab-Festlegung und Fixierung von Indikatoren erheblich erschweren. Eine ausreichend fall- und prozessbezogene Sensitivität und Anpassungsfähigkeit der Indikatorik sei notwendig. Diese Anpassungen im Prozessverlauf sollten nach Auffassung der Autoren unter Beteiligung der jeweiligen Akteur:innen erfolgen. Sie beschreiben diesen Ansatz als partizipativ-agile Indikatoren-Entwicklung. Vor einem theoretisch-konzeptionellen Hintergrund werden im Text methodisch relevante Fragen zusammengetragen und eine Blaupause (Vorlage) agiler Transformations-Indikatorik umrissen. Die Autoren greifen unter anderem auf Vorarbeiten zurück, die in Kooperation zwischen der Forschung zu Sozialen Innovationen und zur Technikfolgenabschätzung entstanden sind. Nach Einschätzung der Autoren steht der erforderliche Entwicklungsprozess insbesondere für regionale Kontexte noch weitgehend am Anfang.
Böschen, S., Kaletka, C., Kopp, R., Letmathe, P., & Pelka, B. (2022). Konturen einer Folgenabschätzung sozialer Innovationen. In: Howaldt, J.; Kreibich, M.; Streicher, J.; Thiem, C. (Hrsg.): Zukunft gestalten mit Sozialen Innovationen. Neue Herausforderungen für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Campus. Verlag: Frankfurt/New York, S. 327-344.
“Futures Studies and Social Innovation”
Wirkungsmessung wird vorwiegend ex-post, also im Nachhinein, durchgeführt. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die Wirkung eines abgeschlossenen, zeitlich begrenzten Projekts erfolgt oder einer Förderperiode analysiert wird. Dabei bedarf das Design der Wirkungslogik und die Ausformulierung einer Vision von Sozialinnovator:innen zu Projektanfang genauso eines Blicks in die Zukunft. In diesem Sammelbandbeitrag erläutert der Autor verschiedene Zweige der Zukunftsforschung sowie unterschiedliche Vorstellungen von Zukunft. Zum Beispiel geht er auf die Unterschiede zwischen einer wahrscheinlichen oder einer wünschenswerten Zukunft ein. Je nach den bei Sozialinnovator:innen vorherrschenden Zukunftsvorstellungen, ordnen sie die (erhoffte) Wirkung ihrer Aktivitäten und deren dominierendes Narrativ ein, zum Beispiel als Treiber einer wünschenswerten Zukunft. Ebenso bieten ihnen Erfahrungen aus der Zukunftsforschung verschiedene Werkzeuge wie die Technikfolgenabschätzung oder Szenarienbildung Anknüpfungspunkte, ihr Wirken und die erwünschte Wirkung systematisch und vorausschauend zu erfassen.
Schüll, E. (2023). Futures Studies and Social Innovation. In: Howaldt, J. & Kaletka, C. (Hrsg.): Encyclopedia of Social Innovation. Edward Elgar Publishing: Cheltenham, UK, S. 211-215.
Exkurs in die Praxis: „Kursbuch Wirkung“
Kursbuch Wirkung, 2021 (Phineo gAG, https://www.phineo.org/kursbuch-wirkung)
Während der wissenschaftliche Diskurs um die Analyse und Messung der Wirkung von Sozialen Innovationen immer mehr Fahrt aufnimmt, haben sich in der Praxis bereits einige Ansätze etabliert, die sich an Sozialinnovator:innen richten. Sie helfen dabei, die Wirkung der eigenen Arbeit zu erfassen und gegebenenfalls nachzuweisen. Eines dieser Tools wird durch die Phineo gAG bereitgestellt und umfassend im Kursbuch Wirkung präsentiert. Das Handbuch zur Umsetzung einer Wirkungslogik soll das Projektmanagement im gemeinnützigen Bereich in Hinblick auf die Erreichung von Wirkungszielen professionalisieren helfen. Es richtet sich an Akteur:innen, die im Kontext von gemeinnützigen Organisationen wie zum Beispiel zu sozialen oder kulturellen Projekten oder zu Bildungsprojekten tätig sind.
Das Handbuch nimmt die Wirkung für die Zielgruppen solcher Projekte sowie für die Gesellschaft insgesamt in den Blick. Obwohl Soziale Innovationen damit nicht gezielt adressiert werden, werden jedoch auch solche Sozialinnovator:innen angesprochen, die im Rahmen ihrer Projekte innovative Ansätze verfolgen und diese verbreiten wollen. Neben konkreten Ansätzen zur Integration einer Wirkungsorientierung in ein Projektmanagement wird im Handbuch auch das Modell einer Wirkungstreppe vorgestellt, das inzwischen vielfach Einsatz in der gemeinnützigen Projektarbeit gefunden hat.
Die Wirkungstreppe baut auf der Unterscheidung zwischen sieben Stufen auf, die dabei den Dimensionen des IOOI-Modells (Inputs, Outputs, Outcomes, Impact) in Hinblick auf Outputs, Outcomes und den Impact zugeordnet werden. Dabei wird davon ausgegangen, dass diese Stufen aufeinander aufbauen – angefangen von Aktivitäten, die planungsgemäß stattfinden (Teil der Outputs), über Zielgruppen, die ihr Handeln verändern (Teil der Outcomes), bis zu einer sich ändernden Gesellschaft (Impact). Das Handbuch gibt auf diese Weise einen konkreten Einblick in bisherige Praxis der Wirkungsorientierung und -analyse im Kontext Sozialer Innovationen.
Kunz, B., & Kubek, D. (2021). Kursbuch Wirkung. Das Praxishandbuch für alle, die Gutes noch besser tun wollen. Berlin: Phineo gAG. https://www.phineo.org/kursbuch-wirkung
Eine umfassende Übersicht weiterer Wirkungsmessungstools, die sich an Sozialinnovator:innen richtet, findet sich im Bereich Wirkungstools.