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Soziale Innovationen im internationalen Diskurs – Prof. Jürgen Howaldt über aktuelle Entwicklungen 

24. Juli 2024

Soziale Innovationen nehmen Fahrt auf – als eigenständiger Innovationstyp und Gegenstand von Innovationspolitik. Initiativen und Forschungsprojekte werden vermehrt gefördert, im September 2023 wurde die Nationale Strategie für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen veröffentlicht; kurz darauf gründete sich der internationale BMBF-Beirat für Soziale Innovationen, welcher jüngst ein Visionspapier veröffentlichte. Nicht zuletzt hat sich Soziale Innovation auch in der Forschung als eigenständiges Forschungsfeld etablieren können, wovon beispielsweise die 2024 bereits zum 16. Mal stattfindende International Social Innovation Research Conference zeugt. Prof. Jürgen Howaldt, Direktor der Sozialforschungsstelle Dortmund der Technischen Universität Dortmund, verfolgt und prägt die nationale und internationale Innovationsforschungsgemeinschaft und deren Diskurse bereits seit vielen Jahren. Das Team Wissenschaft hat mit ihm für das Spotlight Juli über die aktuellen Entwicklungen im Themenfeld gesprochen.   

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Prof. Dr. Jürgen Howaldt ist Direktor der Sozialforschungsstelle Dortmund, TU Dortmund, und Professor an der Fakultät für Sozialwissenschaften. Er ist ein international anerkannter Experte auf dem Gebiet der Sozialen Innovation und Mitbegründer und Vorsitzender der European School of Social Innovation. Jürgen Howaldt ist Mitherausgeber der Enzyklopädie der sozialen Innovation und des Atlas der sozialen Innovation. Seine Forschungsschwerpunkte sind die sozialwissenschaftliche Innovationsforschung und die Soziale Innovation.

Wie wird Soziale Innovation mittlerweile in der internationalen Forschungsgemeinschaft aufgenommen und besprochen? Welche Entwicklungen gab es in den letzten Jahren?

Das Thema Soziale Innovation ist inzwischen in einer Reihe von wichtigen Forschungscommunities angekommen. Im European Forum for Studies of Policy and Innovation (Eu-SPRI) wird die Bedeutung Sozialer Innovationen für eine zukunftsweisende Innovationspolitik seit vielen Jahren intensiv diskutiert. Mit dem grundlegenden Wandel in Richtung einer missionsorientierten Innovationspolitik in Europa stellt sich zunehmend die Frage nach der Bedeutung von Sozialen Innovationen bei der Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen. Im Kern geht es dabei um ein grundlegend neues Innovationsverständnis, welches die Schumpetersche Perspektive auf die ökonomische Bedeutung von Innovationen ausweitet und nach der Bedeutung von Innovationen für gesellschaftliche Transformationsprozesse fragt. Dies war auch Gegenstand eines Panels zur Sozialen Innovation auf der diesjährigen Konferenz der Schumpeter Gesellschaft in Göteborg.

Wichtig ist dabei, dass sich Soziale Innovation in den letzten Jahren zu einem eigenständigen Forschungsfeld mit einer dazugehörigen Forschungsgemeinschaft entwickelt hat. Die ISIRC Conference bringt die internationale Gemeinschaft einmal im Jahr zusammen, um sich über aktuelle Entwicklungen in der Forschung auszutauschen. Die European School of Social Innovation ist ein internationales Forschungsnetzwerk mit zahlreichen Partnern bestehend aus Universitäten, Forschungsinstituten und Forscher:innen. Publikationen wie der Atlas of Social Innovation und die im Oktober 2023 erschienene Encyclopedia of Social Innovation tragen zum Aufbau einer Wissensbasis für die sich entwickelnde Forschungscommunity bei.

Welche Herausforderungen werden aktuell besonders intensiv diskutiert und welche Bedeutung hat das für den Diskurs in Deutschland?

Da es sich beim Konzept der Sozialen Innovation um ein zumindest wissenschaftlich noch recht junges Thema handelt, nehmen Fragen der theoretischen Fundierung und des Verhältnisses zu technologischen Innovationen einen wichtigen Stellenwert ein. Im Zentrum steht dabei die Frage nach der Bedeutung Sozialer Innovationen in gesellschaftlichen Transformationsprozessen. Was sind die Treiber sozialer Innovationen, wer sind ihre Akteure und was sind geeignete Organisationsformen (Reallabore etc.). Von großer Bedeutung ist auch die Frage nach der gesellschaftlichen Wirkung sozialer Innovationen. Dabei setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass Soziale Innovationen eigene Infrastrukturen und Unterstützungsformen benötigen. Wie eine wirkungsvolle Soziale Innovationspolitik aussehen kann und wie sie sich in eine umfassende Innovationspolitik einbetten lässt, sind zentrale Fragen.

Mit der Veröffentlichung der SIGU-Strategie erreicht die Förderung und Anerkennung von Sozialen Innovationen in Deutschland einen weiteren Meilenstein. Wie blickt die internationale Forschung auf diese Entwicklung in der deutschen Innovationspolitik?

Die Entwicklung der Sozialen Innovationspolitik in Deutschland in den letzten Jahren ist beeindruckend. Die SIGU-Strategie bedeutet wirklich einen Meilenstein, weil sie ein wichtiger Schritt hin zu einer umfassenden nationalen Strategie ist, die weit über die Innovationspolitik hinausgeht und das Thema zu einem wichtigen Bestandteil öffentlicher Politik macht.

In eine ähnliche Richtung weist auch das gerade veröffentlichte „Vision Paper – 30 Milliarden bis 2030“ des Internationalen Beirats für Soziale Innovation des BMBF. Hier wird die internationale Expertise der im Beirat versammelten Expert:innen in beeindruckender Weise genutzt, um Wege für die systematische und ambitionierte Weiterentwicklung des Themas in Deutschland aufzuzeigen. Viele der hier vorgeschlagenen Maßnahmen – wie zum Beispiel der Vorschlag, die Steuerung der Politik zum Thema durch das Bundeskanzleramt – sind mutig und wegweisend. Werden die Maßnahmen umgesetzt, bedeutet dies einen wirklichen Sprung in die Zukunft. 

Vision Paper Si Beirat
Der internationale Beirat veröffentlichte das Vision Paper im Juli 2024.

Allerdings kommen in diesem Papier für die Weiterentwicklung des Themas ebenfalls wichtige Akteure wie die Zivilgesellschaft und die Universitäten eindeutig zu kurz. Um den großen gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht werden zu können, ist das Innovationspotenzial und das Engagement aller notwendig. Hier brauchen wir eine gesellschaftliche Aufbruchsstimmung und den Mut, dieses Projekt mit großem – auch finanziellem – Engagement zu unterstützen. Ohne die Bereitschaft, in die Zukunft unserer Gesellschaft zu investieren, werden sich die ambitionierten Ziele nicht erreichen lassen.

Im kommenden Jahr richtet die Sozialforschungsstelle der TU Dortmund vom 11.–13. Juni die EU-SPRI-Konferenz aus. Hunderte internationale Wissenschaftler:innen, die sich mit Innovationsforschung und Innovationspolitik befassen, werden nach Dortmund kommen. Warum sollten sich an Sozialer Innovation Interessierte das Datum im Kalender markieren?

Im Mittelpunkt der Konferenz wird die Frage nach der Rolle der Wissenschafts-, Technologie- und Innovationspolitik für unsere gesellschaftliche Zukunft stehen. Welchen Beitrag kann sie leisten, um Wohlstand effektiv und nachhaltig zu sichern und eine gerechte und widerstandsfähige Gesellschaft zu schaffen, in der Natur und Umwelt, Wirtschaft und die Bedürfnisse der Menschen im Einklang stehen? Angesichts tiefgreifender sozialer, ökologischer, technologischer und geopolitischer Veränderungen müssen soziale, digitale und grüne Transitionen systematisch miteinander verknüpft werden. Dabei stellt sich auch die Frage, wie das Innovationspotenzial der Gesellschaft gestärkt werden kann und welche Innovationsverständnis wir benötigen, um die Ziele zu erreichen.

Die Konferenz bietet die Möglichkeit, diese Fragen mit 400 internationalen Expert:innen aus Wissenschaft und Politik zu diskutieren und Impulse für die Weiterentwicklung des Themas zu setzen.

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Prof. Jürgen Howaldt lädt die Teilnehmenden der Eu-SPRI Konferenz 2024 zur nächsten Jahrestagung 2025 nach Dortmund ein (Foto: Marthe Zirngiebl).

Und nicht zu vergessen: Dortmund wurde 2021 als Europäische Innovationshauptstadt ausgezeichnet und verfügt über vielfältige Erfahrungen bei der Gestaltung erfolgreicher Transformationsprozesse in und mit der Stadtgesellschaft.

Team Wissenschaft der TU Dortmund

Wer steckt hinter dem Spotlight Wissenschaft?

Das Interview für das Spotlight Juli wurde von dem Team Wissenschaft der TU Dortmund geführt.