Vier Jahre, sechs Konzerte, die Ärzte und die Toten Hosen, 330.000 Besucher:innen – das Projekt Labor Tempelhof zeigt, wie Großveranstaltungen schon heute klima- und ressourcenpositiv gestaltet werden können. Und es macht deutlich, wo aktuell noch die Grenzen des Machbaren liegen. Ins Leben gerufen wurde das Projekt von Loft Concerts gemeinsam mit der NGO Cradle to Cradle, der KKT GmbH – Kikis kleiner Tourneeservice – und Side By Side Eventsupport. Ziel ist es, Veranstaltungen am Flughafen Tempelhof konsequent nach Cradle to Cradle-Prinzipien umzusetzen.
Wir haben mit Tabea Kaplan, Geschäftsführerin von Loft Concerts, über nachhaltige Transformation in der Eventbranche, das Potenzial von Musikfestivals als Reallabore und die Vision hinter dem Pilotprojekt gesprochen.
Ihr seid Konzertveranstalter und setzt euch ganz bewusst in eurer Haltung und eurem Handeln mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinander. Was treibt euch an?
Tabea Kaplan: Abgesehen von der offensichtlichen Notwendigkeit in diesen Zeiten des Klimawandels und der unternehmerischen Haltung, nicht ausschließlich immer nur profitorientiert zu handeln, sind wir davon überzeugt, dass nachhaltiges Wirtschaften das neue Morgen sein wird. Diese Zukunft möchten wir proaktiv mitgestalten und nicht irgendwann gezwungen sein, nur noch reagieren zu müssen und dann nicht mehr hinterherzukommen.
2024 ist das Labor Tempelhof in die zweite Runde gegangen: Wie reagieren Künstler:innen und Besucher:innen auf euer nachhaltiges Konzept?
Tabea Kaplan: Durchweg positiv! Im zweiten Durchgang waren viele Prozesse bereits gelernt für alle Beteiligten (die Bands, die Besuchenden und Dienstleistungsunternehmen). Das hat vieles einfacher gemacht!
Ihr habt nach dem Labor Tempelhof ein Guidebook veröffentlicht, um zu zeigen was heute schon in Sachen Nachhaltigkeit möglich ist. Was sind eure Learnings? Wo liegen die größten Hebel, um Festivals und Konzerte nachhaltiger zu gestalten?
Tabea Kaplan: Die größten Hebel liegen zum einen in der Anreise des Publikums (das macht ca 80% der CO2 Bilanz aus), dem Essen (die Umstellung auf vegan/vegetarisch spart unfassbar viel Wasser!) und der Energie (Umstellung auf Feststrom mit 100% echtem Ökostrom).
Labor Tempelhof Guidebook
Vier Jahre, sechs Konzerte, 330.000 Menschen – und viele Erkenntnisse.
Das Projekt Labor Tempelhof zeigt, wie klima- und ressourcenpositive Veranstaltungen bereits heute realisiert werden können und wo derzeit noch die Grenzen des Machbaren liegen.
Gibt es Lösungen, die dich besonders begeistert oder überrascht haben?
Tabea Kaplan: Ich bin nach wie vor Fan von unserem Sanitär-Case, bei dem wir die Flüssig-und Feststoffe aus den Toiletten in den Kreislauf zurückgeführt haben. Mit unserem Umsetzungspartner Finizio und deren Forschungsprojekt wurden die Reststoffe zu Flüssigdünger und Humus weiterverarbeitet.
In 2024 war unser Leuchtturm definitiv der Mehrwegcase. Wir haben es erstmals geschafft in einer solchen Größenordnung (mit insgesamt 180.000 Besuchenden) auf 100% Mehrweg umzustellen (sowohl Geschirr, Besteck als auch Trinkbecher). Das war eine riesen Leistung und hoffentlich Vorbild für viele andere Festivals und Veranstaltungen!


Wie messt ihr die Wirkung eurer Bemühungen?
Tabea Kaplan: Wir arbeiten in einer sehr komplexen Klimatabelle, die wir bei unserem ersten Labor Tempelhof 2022 in Zusammenarbeit mit BCG und Adelphi entwickelt haben. Diese wird mit unglaublich vielen Daten gefüttert, die wir vorher, während und nach den Konzerten beim Publikum, den Diestleistenden, Bands und Crews abgefragt haben.
Wo stoßt ihr aktuell an Grenzen, wenn es um Zero Waste oder Kreislaufwirtschaft geht?
Tabea Kaplan: Beispielsweise bei dem angesprochenen Sanitärcase, wo die Reststoffe wieder zurück in den biologischen Kreislauf geführt werden. Aktuell ist es nur im Rahmen des Forschungsprojektes erlaubt. Grund dafür ist ein altes Düngemittelgesetz. – Bizzar, wenn man bedenkt, dass Deutschland aktuell den Rohstoff Phosphor zu 100% importieren muss, anstatt ihn quasi kostenlos aus unserem Urin zu generieren!
Aber auch bei vielen Verpackungs-und Produktlösungen stößt man nach wie vor an Grenzen, da sich das Produktdesign nicht an kreislauffähigen und recyclebaren Inhaltstoffen orientiert. Das macht eine Rückführung des Materials in den biologischen oder technischen Kreislauf oftmals schwierig bis unmöglich.
Was müsste sich strukturell ändern, damit echte Kreisläufe funktionieren können?
Tabea Kaplan: Zum einen braucht es einen Bewusstseinswandel in der Wirtschaft, Politik und der Gesellschaft, dass wir endlich anfangen Produkte und Materialen nach ihrem Gebrauch nicht als Müll, sondern als Ressource zu verstehen. Dazu muss dann wie schon erwähnt bereits zu Beginn der Produktentwicklung die Kreislauffähigkeit mitgedacht und mitdesigned werden.
Auch der Fakt, dass aktuell die Umweltverschmutzung und das Ausbeuten gewisser Ressourcen und Bodenschätze nicht mit eingepreist und besteuert werden bei Produkten, ist kein nachhaltiger Ansatz. Wenn dem so wäre, würde die Bereitschaft auf eine Cradle to Cradle basierte Kreislaufwirtschaft viel schneller Einzug halten im aktuellen Wirtschaftssystem.
Gerade Konzerte und Festivals sind ein riesiger Kraftakt mit enorm großem zeitlichem Vorlauf und vielen Stakeholdern. Wie wichtig ist aus eurer Perspektive Kooperation und Co-Kreation für mehr Nachhaltigkeit?
Tabea Kaplan: Das spielt ein große Rolle, gar keine Frage. Wir hätten diverse Nachhaltigkeitscases beim Labor Tempelhof nicht ohne Kooperationspartner erreicht!
Was sind aktuell eure Herausforderungen? Wo würdet ihr euch Unterstützung wünschen?
Tabea Kaplan: Aktuell ist die Stimmungslage in der Branche nicht unbedingt bereitwilliger geworden, sich dem Thema Nachhaltigkeit zu widmen, bzw. zu investieren. Das hängt sicherlich auch mit der politischen Entwicklung zusammen. Es bräuchte eine radikale Veränderung im Wirtschaftssystem, das politisch und gesellschaftlich getragen wird. Hin zu einer ressourenschonenden, ganzheitlichen Produktions-und Denkweise und weg von der „Höher-schneller-weiter-Mentalität“ ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt.
Was würdet ihr anderen Konzertveranstaltern oder Unternehmen raten, die gerade anfangen sich mit mehr Nachhaltigkeit zu beschäftigen?
Tabea Kaplan: Lest unser Guidebook, begebt euch in entsprechende Netzwerke und verbindet euch mit Veranstaltern wie uns, die bereits erste Schritte getan und aus Fehlern gelernt haben. Wissen teilen! Das verbindet und es müssen dann nicht alle bei Null anfangen, um endlich einen Unterschied zu machen!

Nachhaltige Festivals
Ihr wollte mehr über nachhaltige Transformation und Musikfestivals als Reallabore erfahren? Von Abfallreduzierung über Kreislaufwirtschaft bis zu Zero Waste – hier geht´s zum Blogpost.




